Dead End: Thriller (German Edition)
Problem überbewertet. Ich nehme doch an, Sie haben sie überprüft, Sir? Besteht Aussicht, dass ich das Ergebnis erfahre?
Was ich allerdings nicht ignorieren kann, sind ihre Bedenken wegen der Selbstmordstatistik. Nicht nur gibt es hier schlicht mehr Suizide, als man erwarten sollte, es stehen auch überproportional viele Frauen auf der Liste, und die Methoden, für die sie sich entscheiden, sind ungewöhnlich brutal.
Praktisch nichts von dem, was ich bisher geschrieben hatte, war in einer Form verfasst, die einem Vorgesetzten gegenüber angemessen wäre, und ich sollte das Ganze löschen und von vorn anfangen, so tun, als schriebe ich an Dana Tulloch oder an meinen DI in Southwark. An irgendjemanden, der mir nicht so gegen den Strich ging, wenn ich mir auch nur gestattete, an ihn zu denken.
Ich war zu müde, um von vorn anzufangen. Ich schilderte meinen Besuch bei Bryony und die Ansicht ihres Hausarztes, dass ihre Freunde und ihre Familie sie vernachlässigten. Inzwischen war es fast elf, und ich hatte keine Ahnung, ob Joesbury zu Hause sein würde, im obersten Stockwerk jenes weiß gestrichenen Hauses in Pimlico, oder ob er irgendwo unterwegs war und sich amüsierte.
Bryony Carters Arzt sieht außergewöhnlich gut aus, und obwohl er auf den ersten Blick sehr nett wirkt, scheint er mehr an Bryony interessiert zu sein, als ich es von einem Hausarzt erwarten würde. Glauben Sie, ich sollte versuchen, ihn ein bisschen besser kennenzulernen?
Als Letztes schilderte ich, wie ich an der Stelle gewesen war, wo Nicole Holt zu Tode gekommen war.
Die Anwesenheit eines weiteren Fahrzeugs an dieser Straße muss m.E. näher untersucht werden. Ich habe die Reifenabdrücke vom Unfallort mit denen mehrerer Reifen verglichen, die normalerweise für den Mini Cooper verwendet werden, und keinerlei Übereinstimmungen festgestellt. Ein anderer Wagen ist um die Zeit, als Nicole umgekommen ist, auf diesem Straßenstück gewesen, aber im Bericht der Kriminalpolizei steht nichts davon.
Es war nach elf, als ich schließlich auf »Senden« klickte und den Laptop in den Schlafmodus schaltete. Es fühlte sich an, als sei ich ganz allein in dem Wohnheim. Ich zog mich aus, schloss meine Zimmertür ab und ging über den Flur ins Gemeinschaftsbad. Dort drehte ich den Wasserhahn voll auf.
Evi hatte gerade Wasser in die Badewanne einlaufen lassen und den langsamen, mühsamen Prozess des Ausziehens begonnen, als das Telefon klingelte. Der erste Gedanke in ihrem Kopf war wie immer Harry. Doch es war nie Harry. Harry hatte sie inzwischen wahrscheinlich völlig vergessen.
»Hallo, Liebling, ich bin’s.«
»Hi, Mum.«
Ihre Mutter war so stolz auf ihre kluge, tapfere Tochter, und es war immer so anstrengend, mit ihr zu reden, denn bei ihr war es noch wichtiger als bei anderen, den Anschein zu erwecken, dass es ihr bestens ginge.
»Wie war dein Tag?«
»Prima«, log Evi. »Hab eine Menge geschafft.«
Evis Mutter war in dem Skiurlaub dabei gewesen, als der Ischiasnerv in Evis linkem Bein schwer geschädigt worden war. Evis Mutter, die bessere Skiläuferin der beiden, hatte ihre Tochter überredet, eine schwere schwarze Piste zu wagen. Evi war mit einem Ski an einem Felsen hängen geblieben, hatte die Kontrolle verloren und war in eine Spalte gestürzt. Jetzt war jede Andeutung, dass es ihr nicht ganz hervorragend ging, mehr, als ihre Mutter ertragen konnte.
Als sie sich verabschiedeten, bekam Evi es allmählich mit der Angst, dass die Wanne womöglich überlief. Die Nachricht auf dem Spiegel über dem Waschbecken war das Zweite, was sie im Bad bemerkte. Ich kann dich sehen, stand da. Das Erste war, dass die Badewanne mit Blut gefüllt war.
29
Draußen war es lauter geworden, als ich wieder in mein Zimmer zurückkam. Schlafen war in absehbarer Zeit nicht drin. Außerdem würde es mir ziemlich schwerfallen, mir die nächsten drei Monate ein Badezimmer mit sechs anderen Frauen zu teilen. Mit achtzehn wäre ich damit klargekommen – verdammt, es hatte Zeiten in meinem Leben gegeben, wo ich alles dafür gegeben hätte, mich überhaupt waschen zu können –, doch im Laufe der letzten Jahre hatte ich mich anscheinend an gewisse Hygienestandards gewöhnt.
Zwei Nachrichten in meinem Postfach. Die erste war vom Psychologischen Beratungsdienst und bestätigte den Eingang des ausgefüllten Fragebogens. Die zweite war von Joesbury.
Von: DI Mark Joesbury, Scotland Yard
Betreff: Einsatzbericht 1
Datum: Dienstag, 15. Januar, 23 Uhr 16
An: DC Lacey
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