Dead End: Thriller (German Edition)
Mal nach Oxford oder Cambridge zu fahren.
So ähnlich war es mir auch gegangen, begriff ich, auch wenn meine Anwesenheit hier größtenteils ein Täuschungsmanöver war. Ich hatte etwas von dem Druck verspürt, mich plötzlich inmitten einer Elite wiederzufinden.
Als ich mich jedoch dem Thema Cyber-Suizid zuwandte, dehnte sich der Zugriff weit über die akademische Welt hinaus aus. Jeder, der mit einem Computer umgehen konnte, so schien es, konnte da hineingezogen werden.
Ein besonders beklemmender Fall war der eines Zweiundvierzigjährigen aus Shropshire, der sich vor einer Webcam erhängt hatte, während Dutzende von Cyberkumpels zusahen. In einem sogenannten »Insult Chatroom« war er vorher aufgemischt worden. »Tu’s endlich, verdammte Scheiße. Jetzt mach schon«, sollte ein Zuschauer in sein Mikrofon gebrüllt haben, während der zweifache Vater sich eine Schlinge um den Hals legte und langsam erstickte.
Die Familien derjenigen, die umgekommen waren, hatten diese Websites massiv kritisiert. »Die sagen ihnen, wie man so was macht«, klagte eine trauernde Mutter. »Die sagen ihnen, wie viele Tabletten sie nehmen müssen. Oder dass die Pillen schneller wirken, wenn man sich eine Plastiktüte über den Kopf zieht. Und sie geben ihnen Ratschläge, wie sie ihre Absichten vor ihrer Familie geheim halten können. Sie sagen, man soll sein Zimmer immer schön aufräumen, sich weiter die Haare waschen, den Schein wahren. Sie helfen ihnen, die Fassade aufrechtzuerhalten.«
Als ich die Berichte durchhatte, nahm ich mir die eigentlichen Websites vor, eine nach der anderen. Der Schmerz, auf den ich an diesem Morgen stieß, hatte etwas Unerbittliches. »Ich fühle mich so allein«, sagte eine Frau auf einer der Seiten. »Ist denn da draußen niemand?« »Ich glaube nicht, dass ich das noch lange aushalte«, sagte eine andere. »Ständig träume ich von all dem, bei dem ich in meinem Leben versagt habe. Dann wache ich klatschnass auf und stinke nach Schweiß. Kann ich denn nirgends Frieden finden?«
Ich erfuhr von der Existenz von Kultbewegungen, die glauben, die Welt sei übervölkert und Selbstmord sei eine verantwortungsbewusste, selbstlose Handlung, und die Ratschläge anbieten, wie man sich am effektivsten das Leben nehmen kann. Sie führen die Grausamkeit und die Qual fehlgeschlagener Methoden als Rechtfertigung an.
Als ich dachte, viel schlimmer könnte es nicht mehr werden, stieß ich auf die Trolle.
Wo immer es menschliches Elend gibt, da gibt es anscheinend auch jene, die sich daran weiden. Die sogenannten Trolle sind ungebetene Gäste, die sich auf Selbstmord-Websites einloggen, um sich zu ihrer eigenen Unterhaltung an Online-Diskussionen zu beteiligen und sie zu manipulieren. Kurz gesagt, sie geilen sich an der Verzweiflung anderer auf. Es gab mehr Fälle von Trollen, die Menschen aktiv zu selbstzerstörerischem Handeln angestachelt und dabei die ganze Zeit auf hilfsbereit und besorgt gemacht hatten, als ich verdauen konnte.
Ich lehnte mich so abrupt in meinem Sitz zurück, dass der Dozent zu mir herübersah. Nicht gut. Rasch schlug ich die Augen nieder. Ein Junge in derselben Reihe wie ich schaute rasch in meine Richtung: Etwas, das wie ein Feixen aussah, lag auf seinem Gesicht. Wahrscheinlich war er gestern Nacht bei meiner Initiationszeremonie unter den Zuschauern gewesen.
Dabei fiel mir das Foto von den drei jungen Männern in meiner Tasche wieder ein. Ich wollte wissen, wer diese Penner waren. Studentenstreich oder nicht, es ging mir absolut gegen jeden Polizistenstrich, dass jemand so etwas mit mir machen und damit durchkommen konnte. Irgendwie glaubte ich allerdings nicht, dass Joesbury bei einem privaten Rachefeldzug besonders hilfreich sein würde. Bei dieser Nummer war ich auf mich allein gestellt.
Und das hatte ja wohl auch keine Priorität. Zwanzig tote Kids, das hatte Priorität für mich. Oder waren es neunzehn? Bryony war ja eigentlich nicht tot. So oder so, es kam mir nicht richtig vor, dass die Opfer für mich immer noch nur Zahlen waren. Wie sollte ich ermitteln, wenn ich nicht einmal wusste, wer die Toten waren? Und ich wusste genau, wie Joesburys Antwort darauf lauten würde. Sie sollen nicht ermitteln, Flint. Sie sind ein Paar Augen und ein Paar Ohren. Kein Gehirn.
Nun, da hätten sie eben jemand anderen schicken sollen. Was, wenn es da draußen noch andere Bryonys gab? Die gehörten doch auch auf diese Liste. Rasch schickte ich Evi eine E-Mail und bat sie um Detailinformationen
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