Dead End: Thriller (German Edition)
anonym.«
»Aber die haben ihr doch auch ganz direkt Streiche gespielt«, wandte ich ein. Evi hatte das Geschehen kurz für mich zusammengefasst, ehe ich losgefahren war.
»Ja, aber wir haben nie gesehen, wer das gemacht hat«, sagte die mit den braunen Zöpfen, die sie über den Ohren aufgewickelt trug wie Prinzessin Leia. »Tagsüber ist es hier oben ziemlich ruhig. Da kann jeder kommen und gehen, ohne dass man ihn sieht.«
Im Laufe des Studienjahrs hatte Jessica sich mehr und mehr zurückgezogen; manchmal hatte sie ihr Zimmer tagelang nicht verlassen.
»Glaubt ihr, sie war auf Drogen?«, fragte ich.
Die Blicke in der Runde wichen meinem aus.
»Wenn sie in Schwierigkeiten ist, helft ihr ihr nicht, wenn ihr nichts sagt«, drängte ich.
»Ich bin mir ziemlich sicher«, sagte die kurzhaarige Blondine. »Manchmal brauchte man ihr morgens bloß in die Augen zu sehen.«
»Aber genau wissen wir’s nicht«, widersprach die mit dem lila-gelb gestreiften Schal um den Hals. »Das ist doch bloß eine Vermutung.«
»Manchmal ist sie morgens kaum aus dem Bett gekommen, aber ich hab sie nie Alkohol trinken sehen«, hielt die Blonde dagegen. »Die war auf Drogen.«
»Wisst ihr, wo sie die herhatte?«, erkundigte ich mich. »Habt ihr hier irgendwelche komischen Typen rumhängen sehen? Hat sie sich mit jemandem getroffen, ist sie regelmäßig irgendwo hingegangen?«
Sie sahen einander an, dachten nach und schüttelten die Köpfe.
»Hatte sie Geldsorgen?«, fragte ich. Drogen waren unweigerlich teuer.
»Den Anschein hat sie nie gemacht«, antwortete Prinzessin Leia. »Hat ’ne Menge Kohle für Klamotten und Make-up ausgegeben.«
»Sind euch irgendwelche Narben an ihren Armen aufgefallen?«, wollte ich wissen. »Oder dauerndes Schniefen? Habt ihr in ihrem Zimmer je irgendwas Komisches gerochen?«
Noch mehr hilflose Blicke, noch mehr Kopfschütteln. Jessica kam mir nicht wie eine gewöhnliche Drogensüchtige vor. Bryony auch nicht. Ich dankte ihnen, vergewisserte mich, dass sie meine Telefonnummer hatten und auch die von Evi, für den Fall, dass sich irgendetwas tat, und meinte, Jessica sei bestimmt nichts passiert. Das war gelogen. Ich war immer mehr davon überzeugt, dass Jessica bis zum Ende dieses Wochenendes tot sein würde.
Als ich das Wohnheim verließ, bekam ich eine SMS von Evi, dass sie ins Büro des Gerichtsmediziners unterwegs sei. Er sei bereit, seine alten Unterlagen nochmals durchzuschauen. Sie bat mich, in ein paar Stunden bei ihr zu Hause vorbeizuschauen.
Also musste ich ein wenig Zeit totschlagen. Was ich wollte, war, mit Joesbury reden. Oder ihn zumindest wissen lassen, was ich herausgefunden hatte. Doch das Ganze war noch immer nicht viel mehr als eine Theorie, und er hatte sehr deutlich gemacht, dass ich keinen Kontakt mit ihm aufnehmen sollte, außer in einem Notfall. Ein paar Stunden. Ich beschloss, nach Bryony zu sehen.
Evi schaute auf die Uhr. Der Hund war jetzt seit drei Stunden allein. Er konnte auf den Teppich gepinkelt, die Möbel angenagt, ein Loch ins Dach geheult haben. Und hatte Laura ihn heute überhaupt schon gefüttert? War er Gassi geführt worden?
»Evi.«
Evi schaute auf und sah Warrener in der Tür stehen. Er hielt ein einsames Blatt Papier in der rechten Hand.
»Was gefunden?«, fragte sie
Warrener warf einen kurzen Blick auf das Blatt und sah dann wieder Evi an.
»Ich habe jetzt elf Obduktionsberichte durchgesehen«, sagte er. »Angefangen mit dem letzten, also dem von Nicole Holt.«
Evi nickte. Nachdem sie und Laura die männlichen Studenten, die weniger hübschen Mädchen und die, deren Selbstmordversuche fehlgeschlagen waren, aussortiert hatten, hatte ihre Liste aus elf Personen bestanden. Sie hatte Francis gebeten zu überprüfen, ob irgendwelche dieser jungen Frauen unter Drogeneinfluss gestanden hatten, als sie sich das Leben genommen hatten.
Er reichte ihr das Blatt. »Das hier maile ich Montagfrüh dem Chief Constable«, sagte er. »Was der davon hält, kann ich beim besten Willen nicht sagen.«
Bryony lag genauso da, wie ich sie vor zwei Tagen zurückgelassen hatte; sie starrte das Dach des Zeltes an, das sie vor Infektionen schützte. Sie hörte die Tür und drehte den Kopf langsam in meine Richtung.
Die Ähnlichkeit mit einem lebenden Leichnam wurde immer stärker. Die Haut, die ihr Gesicht bedeckte, sah noch wächserner aus als zuvor, und stellenweise war sie verfärbt. Es sah aus, als hätte Bryonys Körper begonnen, sie abzustoßen.
»Hi«, sagte
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