Dead End: Thriller (German Edition)
ich.
Sie sah zu, wie ich auf das Bett zukam.
»Dieselben Regeln wie neulich«, sagte ich. »Sobald du möchtest, dass ich gehe, blinzel einfach ein paarmal, dann bin ich weg.«
Ich wartete darauf, dass das Blinzeln losging. Nichts geschah. Ich zog den Stuhl heran und setzte mich.
»Ich hab ein ganz schönes Abenteuer erlebt, nachdem ich dich vorgestern besucht habe«, berichtete ich. »Bin von einem Bussard angefallen worden.« Ich erzählte ihr, wie ich den Vogel aufgescheucht hatte, wie er auf mich herabgestoßen und wie ich in den Wald geflüchtet war. Gerade wollte ich ihr von dem Wald und dem gruseligen Bauern erzählen, als die Schwester hereinkam, um den Blutdruck zu messen und die Sauerstoffsättigung zu überprüfen.
Langsam wurde es spät, ich musste bald wieder bei Evi sein. Die Gruselwald-Geschichte würde noch einen Tag warten müssen.
»Bryony«, sagte ich, als die Tür sich hinter der Krankenschwester schloss, »es gibt da etwas, was ich dich fragen möchte. Das wird bestimmt nicht leicht für dich, aber es ist wichtig. Ist das okay?«
Ich wartete, bis Bryony das Kinn gesenkt und dann wieder gehoben hatte. Oh Gott, ich hatte halb gehofft, sie würde Nein sagen, denn was ich gleich fragen würde, erschien mir fürchterlich grausam, aber Evis Bemerkung vorhin, dass zweihundert Leute gesehen hätten, wie Bryony sich angezündet hatte, hatte gesessen. Denn das stimmte nicht. Zweihundert Menschen hatten sie in Flammen stehen sehen.
Jemand anderes war dabei gewesen, als Nicole sich selbst enthauptet hatte. Danielle war nicht allein gewesen, als sie an jenem Baum gehangen hatte. Vielleicht hatte ja auch Bryony nicht allein gehandelt.
»Bryony, was ich dich fragen muss, ist, ob jemand bei dir war, als du dich angezündet hast.«
Vielleicht hatten ja alle drei Helfer gehabt.
»Was ich wissen muss, Bryony, ist, hat dir jemand geholfen?«
Bryonys Hand bewegte sich übers Bett, hatte den Stift gefasst. Langsam schob sie ihn über die Tafel. In diesem Moment ging die Tür auf, und ein Pfleger kam herein. Er nickte mir zu und ging zum Papierkorb.
»Ich steh also da, halbnackt und klatschnass, am Knöchel angekettet, und kriege eine Videokamera vors Gesicht gehalten«, schwatzte ich in der fröhlichsten Tonlage, zu der ich fähig war. »Talaith sagt, das haben die letztes Semester oft gemacht.«
Während ich erzählte, hatte ich mich über das Bett gebeugt, um zu sehen, was Bryony schrieb. Der Pfleger leerte den Papierkorb in einen großen Plastiksack.
ICH, hatte sie geschrieben. ICH WARS.
Ich nickte ihr kurz zu, um zu zeigen, dass ich verstand, und lächelte zum Dank ein wenig. Mit einem finsteren Blick auf mich verließ der Pfleger das Zimmer.
»Ich lass dich jetzt in Ruhe«, fuhr ich fort. »Um ehrlich zu sein, ich bin selber ziemlich fertig. Hab gestern Nacht ganz komisch geträumt. Hat bestimmt was mit dem Zimmer zu tun.«
Bryonys Augen waren vor Schreck riesengroß geworden.
»Entschuldige«, sagte ich. »Es ist nur, Talaith hat zufällig gesagt, dass du auch Albträume hattest, als ihr beide zusammengewohnt habt.«
Sie fing wieder an zu schreiben. NEIN, schrieb sie, und dann KEINE TRÄUME.
Keine Träume? Was sollte das heißen?
Ihr Stift bewegte sich noch immer über die Tafel. BELL, schrieb sie abermals.
»Ich weiß, das hast du schon gesagt«, meinte ich. »Bryony, meinst du Nick Bell, deinen Arzt?«
Augenblickliche heftige Erregung. Sie fing an, mit dem Stift auf die Plastiktafel zu klopfen. Erst auf das Wort BELL , dann auf KEINE TRÄUME. Der Stift glitt ihr aus den Fingern, doch sie machte immer weiter, als wäre es furchtbar wichtig, dass ich verstand. BELL. Und KEINE TRÄUME.
Hinter mir öffnete sich die Tür, und eine Krankenschwester stand im Türrahmen.
»Ich glaube, sie muss jetzt schlafen«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Evi sah auf das Blatt Papier hinunter. Eine toxikologische Untersuchung verstand sich bei Selbstmordopfern von selbst, und sämtliche ungewöhnlichen Substanzen, die im Blut, im Speichel oder im Urin gefunden wurden, waren im Obduktionsbericht vermerkt. Warrener hatte den toxikologischen Befund jedes der elf Opfer aus dem Obduktionsbericht herauskopiert. Nina Hatton, die Zoologiestudentin, die sich vor fünf Jahren die Oberschenkelarterie aufgeschnitten hatte, hatte Temazepam im Körper gehabt, ein einigermaßen gebräuchliches Sedativum, und außerdem Psilocybin, ein Halluzinogen. Jayne Pearson, die Französischstudentin, die
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