Dead Eyes - Der Fluch der Maske (German Edition)
Aber irgendwie konnte er sich nicht konzentrieren. Angeliens lächelndes Gesicht im Rijksmuseum tauchte vor ihm auf, als würde sie direkt vor ihm stehen, ihre Lippen ganz nah an seinem Gesicht.
Das Bild war wunderschön, doch dann verwischte es wieder, glitt in die Unschärfe, und der Hintergrund trat hervor, immer klarer, bis er ihn in jedem noch so kleinen Detail erkannte. Neben ihrem Ohr über ihrer Schulter sah er das Gemälde.
Seine Augen tasteten die Zeilen ab, aber seine Gedanken wanderten ständig zum Rijksmuseum und den Gemälden dort.
Als er merkte, dass er gar nicht wirklich etwas aufnahm, schob er das Lesezeichen in das Buch und legte es neben sich auf den Nachttisch.
Er sah zur Kommode, in der er die Maske aufbewahrte, dann sah er auf die Uhr, und wieder kehrte er in Gedanken zum Rijksmuseum zurück und zu dem merkwürdigen, mondbeschienenen Gemälde von dem Mädchen und den Kindern auf der Straße. Das Bild nahm seine Gedanken vollkommen in Beschlag. Es war nicht mehr nur eine Erinnerung an ein Gemälde; es war wie eine Erinnerung an etwas, das er selbst erlebt hatte.
Alex stand vom Bett auf und ging langsam hinüber zur Kommode. Er konnte das schwache Keuchen der Uhr hören, in der Ferne den Autoverkehr. Er holte die Maske heraus und drehte sie in der Hand. Die Innenseite war glatt und durch die Jahre des Tragens wahrscheinlich noch glatter geworden. Alex fuhr mit den Fingern über das Holz und dachte an Hanna undihr entstelltes Gesicht, an ihre feuervernarbte Haut. Die Oberfläche hatte sie berührt wie jetzt seine Fingerkuppen.
Und wieder spürte er das beklemmende Gefühl im Rücken, dass da jemand im Zimmer war. Er wusste, wenn er sich umdrehte, würde er nichts sehen. Das machte es fast noch schlimmer – zu wissen, dass dort nichts war, und ebenso sicher zu sein, dass da eben doch etwas war.
»Warum wolltest du, dass ich das kaufe?«, flüsterte Alex. »Was soll ich denn damit?«
Seine Stimme hallte durch das dunkle Zimmer, auch wenn er nur flüsterte. Er fürchtete gleich eine Antwort zu hören. Aber da war nichts. Und er atmete erleichtert auf.
Alex nahm die Maske und spähte durch die Augenhöhlen. Die Sicht war unerwartet dunkel, als würden die Augenschlitze irgendwie das Licht abhalten. Er konnte kaum etwas sehen, außer ein wenig Licht, das auf die Uhr auf der Kommode fiel.
Alex nahm die Maske wieder ab, und das Licht strömte zurück. Er hörte ein Geräusch auf der Straße und ging hinüber zum Fenster.
Draußen konnte er einen Mann und eine Frau am Kanal entlanggehen sehen. Die Frau entfernte sich mit schnellen Schritten. Der Mann rief ihr hinterher, sie drehte sich um, ihr Gesicht war von einer nahenLaterne erhellt. Sie blieb stehen, eine Hand an die Wange gelegt.
Der Mann ging langsam auf sie zu. Alex hörte, wie er etwas zu ihr sagte, obwohl er die Sprache nicht verstand. Er hörte aber den bittenden Tonfall in seiner Stimme.
Die Frau blieb stehen, als er näher kam, er wollte ihren Arm berühren. Aber sie wich zurück und fuhr ihn mit lauter Stimme an, bevor ihre Stimme brach und sie zu schluchzen begann.
Der Mann stand eine Weile da, den Kopf gesenkt, dann streckte er wieder die Hand aus. Diesmal wich die Frau nicht zurück, und der Mann kam auf sie zu. Sie umarmten und küssten sich und standen ein paar Momente umschlungen da, bevor sie Hand in Hand davongingen. Ihre Schritte verklangen in der Ferne, bis sie kaum noch zu hören waren.
Alex fühlte sich schlecht, weil er sie heimlich beobachtet hatte. Er senkte den Blick und betrachtete die Maske in seiner Hand. Er hob sie vor das Gesicht und sah wieder aus dem Fenster.
Wie schon zuvor war die Sicht verdunkelt, aber er merkte, dass sich seine Augen doch schnell daran gewöhnten. Und kaum hatten sich seine Pupillen geweitet, sah Alex, dass die Sicht nicht nur dunkler war, die ganze Szenerie hatte sich verändert. Alex war verunsichert und verwirrt – er glaubte zu schwanken,als würden die Dielen unter seinen Füßen sich bewegen; als wäre das Zimmer eine Schiffskajüte und würde auf einer Woge nach oben steigen.
Er griff nach vorne und stützte sich an der Wand ab. Wie kalt sie war. Er sah aus dem Fenster. Über allem lag ein eisiger blauer Schimmer.
Das Ufer war ohne Autos. Die Parkplätze, die sonst immer belegt waren, schienen nicht mehr da. Der Blick hinaus war erkennbar derselbe und doch von Grund auf verändert.
Die Geschäfte auf der gegenüberliegenden Kanalseite waren verschwunden. Ihre warmen gelben
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