Dead Eyes - Der Fluch der Maske (German Edition)
Miserikordien, hölzerne Klappsitze für die Chorjungen mit Schnitzereien unter dem Sitz.
»Die liebe ich«, sagte Angelien und zeigte auf die Schnitzereien. »Habt ihr so was auch in England?«
Alex nickte.
»Meine Mutter hat mir die immer gezeigt, als ich noch ein Junge war«, antwortete er. »Wenn wir uns eine Kathedrale angesehen haben, ist sie immer in den Chorstuhl und hat die Sitze hochgeklappt, um zu sehen, ob Schnitzereien darunter waren.«
Angelien gab ihm das Faltblatt, das sie am Eingang mitgenommen hatten. »Hier sind ein paar erklärt, bei vielen wissen sie aber nicht, was sie bedeuten. Manchmal scheint sich der Schnitzer einfach nur einen Spaß erlaubt zu haben.«
Alex verglich die Schnitzereien mit den Abbildungen auf dem Faltblatt. Auf einer Miserikordie schlug ein Mann seinen Kopf gegen eine Steinmauer. Ein paar Stühle weiter hockte ein Mann auf dem Boden, und Münzen fielen ihm aus dem nackten Hinterteil. »Mir fällt kein Geld aus dem Arsch«, gab der Führer als Erklärung.
Alex lachte laut auf, und ein Pärchen, das gerade hereingekommen war, drehte sich irritiert zu ihnen um. Angelien, die neben ihm stand, flüsterte ihm ins Ohr.
»Das ist ein bisschen wie: Geld wächst nicht auf Bäumen.«
»Den Spruch hier find ich besser«, sagte Alex.
»Ja. Bringt es irgendwie auf den Punkt«, sagte sie mit einem Lächeln. »Komm. Ich will dir was zeigen.«
Angelien führte ihn auf der anderen Seite des Gestühls durch eine Tür, dort war ein großes farbiges Glasfenster, das aus verschiedenen kleineren Scherben bestand. Alex sah hinauf in die ernsthaften Gesichter der Engel.
Er drehte sich zu Angelien, die weitergegangen war und jetzt vor einem Grabmal stand. Alex bemerkte den Namen Saskia, der in den Stein gemeißelt war, und stellte sich neben sie.
»Das war Rembrandts Frau«, sagte Angelien. »Wir haben ein paar seiner Gemälde im Rijksmuseum gesehen – weißt du noch?«
Alex nickte.
»Schön, nicht?«, sagte Angelien. »Nur ihr Name in klaren großen Buchstaben.«
Angelien ging weiter.
»Darf man hier fotografieren?«, fragte Alex.
»Klar«, sagte Angelien.
Alex holte seine Kamera heraus und machte ein paar Fotos von den Grabsteinen, den Miserikordien, dem farbigen Glasfenster und der riesigen Orgel und bemalten Decke.
Ein älterer Mann in engen Jeans betrachtete aufmerksam die Grabsteine und fotografierte ein paar davon. Alex beobachtete, wie er sich entfernte, ein Heft aus der Tasche nahm und sich ein paar Notizen machte.
Alex blickte auf den Boden. Der Grabstein zu seinen Füßen war schon etwas abgenutzt, aber er konnte klar das Bild eines Mannes erkennen, in dessen Fleisch die Würmer krochen. Auf dem Grab daneben war ein Relief von einem Totenkopf, in dessen Augenhöhlen sich der Staub ansammelte.
Angelien nahm ihr iPhone heraus, und nach etwas Tippen und Scrollen zeigte sie Alex eine Seite, auf der ein Diagramm von allen Grabsteinen der Kirche zu sehen war.
»Super, was?«
Sowie sie mit dem Cursor über die Grabstellen fuhr, ging daneben ein Fenster mit den Namen der Beerdigten auf.
»Also, das hier ist Nummer achtundsiebzig«, sagte Angelien und drehte sich zur Seite. »Das bedeutet, dass – eins, zwei, drei – das hier das Grab von unserem Freund Graaf ist.«
»Wirklich?«, sagte Alex.
Der Grabstein des Malers war reich verziert. Alex fragte sich, ob er ihn selber entworfen hatte. Am unteren Rand glaubte er wieder einen Totenkopf zu erkennen, aber als er sich dichter darüber beugte, sah er, dass es in Wirklichkeit eine Maske war – und nicht nur irgendeine Maske.
Es war
die
Maske; die Maske, die Hanna getragen hatte, als er sie am Fenster malte. Angelien sah wieder auf ihr iPhone.
»Und – eins, zwei, drei, vier, fünf runter und eins, zwei nach links – hier ist das von Van Kampen.«
Alex sah auf das Grab. Anders als das Grab des Malers war sein Grabstein fast völlig kahl, außer einer wunderschön gemeißelten Zahl. Natürlich, dachte Alex: Der Grabstein war passend düster. Alex ging in die Hocke und legte die Hand auf den Stein, der durch die Jahrhunderte von all den Gläubigen und vielen Besuchern ganz abgetragen war. Er fühlte sich sehr kalt an – kälter, als er erwartet hatte.
»Liegt er eigentlich wirklich hier drunter?«, fragte Alex.
»Oh, ja«, sagte Angelien. »Da wird er schon liegen. Na ja, zumindest was von ihm übrig ist.«
Alex erinnerte sich an den Grabstein mit dem wurmzerfressenen Körper, und musste sich schütteln. Ihm wurde mit
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