Dead Eyes - Der Fluch der Maske (German Edition)
kaum glauben, was sie ihm gleich erzählen würde.
»Die Dienstboten erzählten Graaf, dass Hanna behaupten würde, sie könne die Geister der Kinder sehen, die während der Pest gestorben waren. Die Kinder, mit denen sie nicht hatte spielen dürfen und die jetzt tief unter der Erde lagen.«
»Geister?«, sagte Alex mit stockender Stimme.
»Ja«, sagte Angelien. »Unheimlich, hm?«
Alex sackte der Magen weg, als würde er auf einer Schaukel steil nach unten schwingen. Der Blick aus dem Fenster am Abend zuvor kam plötzlich mit ungeahnter Kraft zurück.
»He«, sagte Angelien. »Alles in Ordnung? Du siehst aus, als hättest du grad selbst einen Geist gesehen.«
»Ich … alles okay … und was noch?«
»Na ja«, fuhr sie fort. »Ich hatte Unrecht, dass Graaf Hanna nie begegnet ist. Scheinbar hat er sogar mit ihr über die Sache geredet. Das war, als er Van Kampens Porträt malte. Van Kampen musste wegen irgendwelcherGeschäfte aus dem Haus, und Hanna spazierte herein, als er gerade seine Sachen zusammenpackte. Graaf schreibt, sie hätte erst nur in der Tür gestanden und ihm schweigend zugesehen. Dann aber fing sie an mit ihm zu sprechen, und Graaf fragte sie, ob wahr wäre, was die Leute sagten, dass sie von ihrem Fenster aus die Geister von Kindern sehe. Hanna sagte, ja, es würde stimmen, und schien sehr froh, mit jemandem darüber zu sprechen, als eins der Dienstmädchen hereinkam.« Angelien lachte und schüttelte den Kopf.
»Dass Graaf nicht klar war, dass sich Kinder immer so ein Zeug ausdenken. Ich meine damals genau wie heute«, fuhr sie fort. »Der Maler scheint ihr die ganze Geschichte einfach abgekauft zu haben, hat sie nie in Frage gestellt. Ich meine, die Leute waren damals viel naiver, aber Graaf war ein gebildeter Mann. Ist schon erstaunlich, find ich.«
Alex wollte etwas sagen, aber Angelien fuhr fort.
»Kinder unterscheiden noch nicht wirklich zwischen Phantasie und Realität, wie es Erwachsene tun«, sagte Angelien. Dann schüttelte sie den Kopf. »Na ja,
manche
Kinder zumindest.«
Sie lächelte Alex an. Die kurze Ehre, als »Mann« zu gelten, war vorbei. Er war wieder nur ein »Kind«. Aber er wollte mit Sicherheit nicht als eines der Kinder gelten, die Wirklichkeit und Phantasie nicht unterscheidenkonnten. Er wollte vor Angelien nicht wie ein dummer kleiner Junge da stehen.
»Aber sag mal, du wolltest mir doch etwas von dem Bild erzählen«, sagte sie.
»Ach nichts«, sagte Alex. »Ich hatte da so eine Idee, aber es war bescheuert … «
»Okay«, sagte Angelien mit einem Grinsen. »Wenn du meinst? Und? Hungrig?«
»Ja, ein bisschen«, sagte Alex.
»Wie wär’s mit ein paar
frites
?«, sagte Angelien. »Ich meine Pommes?«
Alex nickte.
»Okay«, sagte Alex.
Die Gegend, in die sie kamen, war ziemlich heruntergekommen, und die Atmosphäre wurde noch durch den Gestank des Müllwagens verstärkt, der ihnen die Straße hinunter folgte.
Angelien blieb an einer Imbissbude stehen und bestellte zwei Tüten Pommes. Alex betrachtete mit gerümpfter Nase den weißen Klecks Sauce darauf.
»Was ist das?«, sagte er.
»Mayonnaise«, sagte Angelien.
Alex verzog das Gesicht, und Angelien lachte.
»Ihr Engländer seid schon komisch – komm schon, probier mal. Schmeckt wirklich gut.«
Nach kurzem Zögern nahm Alex eine Pommes. Und nicht nur waren die Pommes gut, Angelien hatterecht – die Mayonnaise war wirklich köstlich. Alex grinste.
»Siehst du?«, sagte Angelien. »Gut, was?« Sie rieb sich den Magen. »Nur nicht so gut für die Figur.«
»Ich mag keine dünnen Mädchen«, sagte Alex und zuckte mit den Achseln.
»Ha!«, sagte Angelien. »Du findest mich also fett?«
Alex verschluckte sich an einer Pommes und musste husten.
»Nein«, sagte er. »Ich … ich meinte nur … «
Angelien lachte wieder und schlug ihn auf den Arm.
»Ich mach doch nur Spaß. Komm – lass uns was trinken gehen, bevor du dich noch tiefer reinredest. Ich kenne ein hübsches Café gleich in der Nähe.«
11
Angelien ging auf eine schmale Gasse zu, die mit großen Ladenfenstern gesäumt war. Zumindest hielt Alex sie dafür. Er war bereits auf halbem Wege durch, als ihm klar wurde, dass in jedem der Schaufenster eine halbnackte Frau stand, die lediglich mit ein paar wenigen Wäscheteilen bekleidet war. Alex hatte sie für Schaufensterpuppen gehalten, bis sich eine von ihnen bewegte.
Angelien sagte nichts weiter, sah weder rechts noch links und ging einfach geradeaus, als würde ihr nichts
Weitere Kostenlose Bücher