Dead Eyes - Der Fluch der Maske (German Edition)
Intensität.
Das Zimmer war nicht sehr groß, und es war auch so wenig darin, dass es nicht mehr als ein paar Sekunden brauchte, um festzustellen, dass außer ihm niemand im Zimmer war. Und doch musste er sich versichern – und noch ein zweites Mal, auch wenn er wusste, dass er nichts finden würde. Er war allein, das konnte er sehen, doch reichte es nicht aus, um ihm die Angst zu nehmen. Wurde er langsam verrückt? Fühlte sich so Wahnsinn an?
Alex stand auf und ging zur Kommode. Die Maske lag obenauf, als würde sie auf ihn warten. Und wieder schien der Boden unter seinen Füßen zu wanken, als würde sich eine Falltür auftun.
Diesmal war er ganz sicher, dass sein Vater sie nicht bewegt hatte. Er hielt sich verzweifelt an der Hoffnung auf eine rationale Erklärung fest, es war aber keine da.
Er nahm die Maske und fühlte, wie die Kälte in seine Finger kroch. Er ging hinüber zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite. Der Kanal und die Straße sahen ganz gewöhnlich aus. Ein feiner Nieselregen hatte die dunklen Pflastersteine in kleine Spiegel verwandelt, die das Licht der Straßenlampen und Geschäfte reflektierten.
Alex schaute auf die Maske in seiner Hand und dann wieder aus dem Fenster. Bei dem Gedanken sie aufzusetzen, begann sein Herz zu rasen. Aber es war auch Neugier und nicht nur Angst.
Alex hob die Maske an sein Gesicht. Er wusste, er sollte sie nicht aufsetzen, doch gleichzeitig wusste er auch, dass er genau das tun würde.
Er spähte durch die Augenschlitze. Wieder war da diese überwältigende Dunkelheit – eine Dunkelheit, die die Schwärze der Nacht noch übertraf. Es war nicht nur ein Fehlen von Licht, es war eine Dunkelheit der Gedanken.
All die vielen tausend Lichter, die noch Sekunden zuvor die nasse Straße erhellt hatten, waren jetzt erloschen, es gab nur verschiedene Stufen von Grau.
Langsam erhoben sich Schatten aus dem undurchdringlichenSchwarz. Als würde Alex im tiefen, tiefen Meer treiben, den Atem anhalten und das dunkle Gewässer nach Gefahren absuchen.
Wie schon zuvor waren alle Zeichen der Gegenwart wie ausgelöscht, und an ihrer statt trat die kalte blauschwarze Vergangenheit, erwartungsvoll schimmernd wie ein düsterer Gedanke.
Alex konnte seinen eigenen Atem hören, wie ein gedämpftes Echo hinter der Maske, die er sich vor das Gesicht hielt, auch wenn er kaum wagte zu atmen.
Und dann kamen die Kinder, genau wie beim letzten Mal, sie rannten und sprangen über die Straße. Ihre hellen Stimmen klangen über dem Trottoir, das Geräusch ihrer Schuhe und Stiefel hallte über das Pflaster.
Er bekam nur noch stockend Luft. Er wusste, dass er sah, was Hanna sah, und wenn
sie
Geister gesehen hatte, dann war es das, was er jetzt vor Augen hatte.
Und er wusste, dass es stimmte. Er konnte es an ihrer grässlich fahlen Haut erkennen – wie etwas, das man ausgebuddelt hatte, vollkommen bleich und leblos. Er sah es auch an den eingefallenen Wangen, an dem fehlenden Glanz ihrer tiefen, schattigen Augenhöhlen.
Alex wünschte, er würde träumen, aber er wusste, er träumte nicht. Wäre es ein Traum, könnte er daraus erwachen. Er wünschte, er könnte es.
Aber er wachte nicht auf. Er konnte nicht mal die Augen gegen das Geschehen verschließen. Der Wille des Mädchens war stärker als er. Wenn sie beschloss hinzusehen, während er die Maske trug, schien er ebenfalls hinsehen zu müssen.
Er fühlte, wie sein Gehirn überdrehte wie ein Motor an einem steilen Hang. Sein Kopf wurde heißer und heißer, sein Atem wurde flach, und dann mit einem Mal tat sich der Boden unter ihm auf, und er fiel.
Er fiel und während er fiel, ließ er die Maske fallen. Luft strömte zurück in seine Lungen, und er keuchte wie ein Mann, den man von der Schlinge abgeschnitten hatte.
13
Alex starrte am Frühstücktisch auf seinen Teller und rührte nichts von dem Essen an. Sein Vater fragte ihn, ob er ihn in den Verlag begleiten wolle, um sich das Ganze mal anzusehen.
»Nein«, sagte Alex. »Nicht nötig.«
»Sicher?«, sagte sein Vater. »Ist wirklich alles okay?«
»Ich bin nur müde«, sagte Alex.
Sein Vater lächelte.
»Ehrlich gesagt«, sagte sein Vater, »so interessant ist es auch nicht. Ich dachte nur, vielleicht brauchst du mal eine Auszeit von Angelien.«
»Alles gut«, sagte Alex nüchtern. »Ich hab ihr schon getextet. Wir treffen uns dann gleich hier.«
Alex’ Vater nickte. »Ist auch wirklich alles in Ordnung?«
»Ja!«, zischte Alex.
»Schon gut«, sagte sein Vater knapp.
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