Dead Man's Song
sah aus, als gehörte sein Porträt auf einen Karton mit gebratenen Hähnchenteilen.
Langdon war mal ein guter Chirurg gewesen, aber das entschuldigte nicht die Art und Weise, wie er jetzt das St. Mary’s leitete. Sharyn war selbst ausgebildete Chirurgin - was bedeutete, daß sie vier Jahre an der Uni studiert und fünf Jahre als Chirurgin in einem Krankenhaus gearbeitet hatte. Danach hatte sie die Qualifikation des American College of Surgeons erhalten. Sie hatte immer noch ihre eigene Privatpraxis, doch als Ein-Sterne-Chief in Uniform arbeitete sie bei einem Jahresgehalt von achtundsechzigtausend Dollar fünfzehn bis achtzehn Stunden täglich im Chief Surgeon’s Office. In dieser Stadt wurden jährlich durchschnittlich zwanzig bis dreißig Polizeibeamte angeschossen. Sharyn hatte nicht die Absicht, auch nur einen von ihnen hier im St. Mary’s liegen zu lassen.
So höflich wie möglich erklärte sie Langdon, daß sie Detective Willis ins Hoch Memorial, einen Kilometer weiter stadtauswärts - und damit dreihundert Lichtjahre entfernt in Kategorien wie Service und medizinischem Standard, was sie jedoch nicht erwähnte - bringen lassen wollte. Langdon sah ihr drohend in die Augen und fragte: »Weshalb?«
»Weil ich möchte, daß er dort behandelt wird«, antwortete sie.
Erneut fragte Langdon: »Weshalb?«
»Weil ich glaube, daß er dort die beste Behandlung erfährt, die ich mir für ihn wünsche.«
»Die Behandlung hier ist ebenfalls hervorragend«, widersprach Langdon.
»Herr Doktor«, sagte Sharyn, »ich möchte mich wirklich nicht mit Ihnen streiten. Der Detective muß sofort operiert werden. Ich will, daß er noch in dieser Minute ins Hoch Memorial gebracht wird.«
»Ich fürchte, ich kann ihn nicht entlassen«, sagte Langdon.
»Das liegt nicht in Ihrer Entscheidungsgewalt«, sagte Sharyn.
»Ich leite dieses Krankenhaus.«
»Sie leiten nicht die Polizeibehörde«, sagte sie. »Entweder lassen Sie den Mann innerhalb der nächsten drei Minuten mit einem Krankenwagen aus der Notaufnahme abholen, oder ich mache daraus einen Neun-Elfer. Was ist Ihnen lieber, Herr Doktor?«
»Das kann ich nicht zulassen«, sagte Langdon.
»Herr Doktor, ich trage hier die Verantwortung«, sagte Sharyn. »Das ist mein Job und mein Dienstbereich. Der Detective wird umgehend verlegt.«
»Man wird annehmen, daß das geschieht, weil das St. Mary’s kein gutes Krankenhaus ist.«
»Von wem reden Sie, Doktor?«
»Von den Medien«, sagte Langdon. »Sie werden annehmen, er sei deshalb verlegt worden.«
»Das ist der Grund, weshalb ich ihn verlege«, sagte Sharyn kühl und grausam und unbarmherzig. »Ich rufe jetzt das Hoch an«, sagte sie, machte auf dem Absatz kehrt, ging zur Schwesternstation und deutete mit einem Fingerschnippen auf ein Telefon. Die Schwester hinter dem Tresen reichte es ihr sofort. Langdon drückte sich noch immer im Hintergrund herum und wirkte wütend und geschlagen und traurig und irgendwie bemitleidenswert. Während sie wählte, sagte Sharyn zu der Krankenschwester: »Lassen Sie einen Krankenwagen vor dem Hinterausgang vorfahren und den Detective auf einer Trage hinunterbringen. Ich verlege ihn.« Ins Telefon sagte sie: »Dr. Gerardi, bitte.« Sie wartete. »Jim«, fuhr sie nach ein paar Sekunden fort, »hier ist Sharyn Cooke. Ich habe einen Polizisten mit einem Oberschenkelsteckschuß, der gleich vom St. Mary’s rübergebracht wird.« Sie lauschte und antwortete: »Tangential«, lauschte wieder, sagte: »Nicht verletzt. Die Kugel steckt noch drin, Jim, Sie können schon einen OP und ein Chirurgenteam vorbereiten. Wir sind in fünf Minuten da. Bis gleich«, sagte sie, legte auf und sah die Krankenschwester an, die reglos hinter dem Tresen stand. »Gibt es ein Problem, Schwester?« fragte sie.
»Es ist nur …«, sagte die Schwester und blickte hilflos zu Dr. Langdon. »Dr. Langdon«, sagte sie, »darf ich einen Krankenwagen bestellen?«
Langdon schwieg ein paar Sekunden lang.
Dann sagte er: »Sorgen Sie dafür.« Er ging wortlos davon, eilte durch den langen, auf Hochglanz gebohnerten Flur, ohne sich umzudrehen, bog um eine Ecke und war verschwunden.
Sharyn ging zu Willis, der in der Notaufnahme hinter einem Vorhang auf einer Trage lag. Er hatte einen Sauerstoffschlauch in der Nase und hing an einem intravenösen Tropf.
»Ich bringe Sie von hier weg«, sagte sie zu ihm. Er nickte.
»In fünf Minuten sind Sie woanders.« Er nickte wieder.
»Ich bleibe bei Ihnen. Brauchen Sie irgend etwas?« Er
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