Dead Man's Song
ersten Jahre bei Beneficial Loan gearbeitet hat, und ihre Erfahrungen mit verschiedenen Liebhabern und all ihre katastrophalen Affären, die darin resultierten, daß sie schwor, nie zu heiraten. All das kam in dem Stück vor. Aber als Jenny Corbin, die damals ein großer Star war, sich bereit erklärte, die Rolle zu übernehmen, bestand sie darauf, den Titel in Jennys Zimmer zu ändern, damit es ihr Stück ist, verstehst du…
»Das ist ja schrecklich«, sagte Andrew.
»Nun ja, eigentlich nicht so sehr«, sagte Jessica. »Weil sie es dadurch zu einem Riesenerfolg gemacht hat. Ich meine, niemand wäre ins Theater gegangen, um etwas über mich zu erfahren, aber jeder glaubte, das Stück handelte von ihr, von Jenny Corbin, dem Star, daher rannte alles ins Theater, und ich verdiente eine Menge Geld. Ach, und sie war so schön.«
Sie hat nicht die gleichen Worte für die Produzenten des Musicals fünf Jahre später. Sie erzählt Andrew, daß sie ein einfühlsames Stück nahmen - nun, ein Stück über Jessica selbst - und es in etwas Rohes und Schrilles verwandelten, mit einem Libretto von jemandem, der in Liverpool geboren war und davor eine Komödie über, man stelle sich vor, Fußball geschrieben hatte. Und die Texte und die Musik waren nicht viel besser. Alles hatte einen aufdringlichen Rhythmus mit den primitivsten Reimen und plattesten Anzüglichkeiten. Zum Beispiel nahmen sie eine der eindringlichsten Szenen des Bühnenstücks - in der Jenny auftritt wie ein Engel - und verwandelten sie in eine Tanznummer.
»Die Szene, in der sie mit der einzigen wahren Liebe ihres Lebens bricht, obgleich sie es zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennt? Das ist wirklich eine anrührende Szene. Das Publikum hat jeden Abend geweint, wenn Jenny sie gespielt hat. Aber in dem Musical traten farbige Jungen und Mädchen auf und tanzten auf die aufreizendste Art und Weise. Es war einfach schrecklich. Wenn ich gewußt hätte, was sie aus meinem kleinen Stück machen würden, hätte ich niemals meine Erlaubnis zu einer Aufführung gegeben.«
»Ich würde es wirklich gern einmal lesen«, sagt Andrew, und Jessica geht kurz ins Nebenzimmer und kehrt wenig später mit der in Leder gebundenen Ausgabe zurück, die der Produzent ihr am Premierenabend überreicht hatte.
In dieser Nacht weint Andrew, als er die Szene in dem Stück liest, in der Jessica mit der einzig wahren Liebe ihres Lebens Schluß macht, ohne zu begreifen, was sie tut, während das Publikum es erkennt. Seine Frau meint bloß, er solle bitte still sein, sie wolle schlafen.
Nicht lange danach wird Jessica schwer krank.
Er versorgt sie zu Hause, bis klar wird, daß sie in ein Krankenhaus gebracht werden muß. Und dann besucht er sie jeden Tag, sitzt oft von morgens bis abends an ihrem Bett und manchmal auch nachts. Nach wenigen Wochen stirbt sie.
In ihrem Testament hinterläßt sie ihm die in Leder gebundene Ausgabe ihres wertvollen Stücks und etwas noch Wertvolleres, nämlich das Copyright daran.
»Woher wissen Sie das alles?« fragte Carella.
»Haie hat es mir erzählt. An die hundert Mal«, sagte Zimmer. »Natürlich hat niemand zu diesem Zeitpunkt jemals erwartet, daß das Musical vielleicht noch einmal aufgeführt werden würde. Jessica starb vor vierzehn oder fünfzehn Jahren. Allem Anschein nach hatte dieses Stück, das sie ihm hinterlassen hatte, nur einen sentimentalen, ideellen Wert.«
»Bis Ihre Partnerin das Musical wiederentdeckte.«
»Ja. Wir machten uns auf die Suche nach den Copyrights und stellten fest, daß alle Erneuerungen vorgenommen worden waren, stöberten die augenblicklichen Eigentümer auf und begannen, die Rechte zu kaufen. Sie können sich bestimmt vorstellen, wie aufgeregt und erfreut diese Leute waren! Der Enkel des Librettoautors arbeitet in der Poststelle eines Londoner Verlags. Die Enkelin des Songtexters verkauft in L. A. Immobilien. Und der Urenkel des Komponisten ist Taxifahrer in Tel Aviv! Dieses Revival ist für sie alle ein Gottesgeschenk, eine Gelegenheit, eine Menge Geld zu verdienen. Wenn das Stück ein Erfolg wird, natürlich. Was es, wie ich glaube, werden wird«, sagte er und klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte.
»Wann haben Sie erfahren, daß Haie die Quellen-Rechte geerbt hatte?«
»Als unsere Anwälte die Rechteinhaber suchten. Wir hatten nicht mit irgendwelchen Problemen gerechnet, warum auch? Wir hatten bereits in der sicheren Annahme mit der Produktion begonnen, daß der Erwerb der Rechte nur eine
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