DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
Ausgang, nach der Freiheit, lange bevor er ihn körperlich erreichte. Er war absolut sicher, todsicher, dass sie ihn im letzten Moment erwischte und zurück in die Schatten zerrte und ihm alle Körpersäfte aussaugte.
»Komm schon, Cook!«, schrie Fabrini.
Seine Hand packte den Türrahmen, und sie tauchte direkt hinter ihm auf, zischend und atmend und scharrend, mit einem betäubenden Gestank nach schleimbenetzten Spinnweben und vertrockneten Chitinpanzern. Und dann schlang sich etwas um seinen Knöchel, um sein Knie, um seinen linken Ellbogen. Seide! Ein lebender, sich ringelnder und schlängelnder Seidenfaden wickelte sich um ihn herum, ihr Atem schwebte über ihm, roch nach geschändeten Gräbern, als sie sich bemühte, ihn einzuspinnen und nach unten zu ziehen.
Jemand schrie.
Cook richtete die Browning nach hinten und feuerte drei Schüsse ab.
Und kam frei.
Er konnte nicht genau sehen, was er traf. Er sah nur einen verschwommenen chitinös-fleischigen Fleck, ölig und vielbeinig, und etwas wie ein kauendes schwarzes Maul, aus dem brauner Saft tropfte.
Und dann stand er draußen und fiel mit dem Gesicht voran aufs Deck.
Aus der Luke des Niedergangs drang ein schrilles, kreischendes Brüllen.
»Macht diese Scheißtür zu!«, hörte er sich schreien.
Und Fabrini und Saks warfen sich mit aller Kraft dagegen. Cook hörte, wie die Tür etwas traf, etwas Weiches und Feuchtes wie vergammeltes Obst, und dann war die Luke zu und der Riegel vorgeschoben.
Auf der anderen Seite kratzte und wetzte und schabte sie mit all ihren nadelspitzen Beinen.
Sie rannten.
Sie kamen zum Fallreep und stiegen einer nach dem anderen hinunter, während Cook mit der Pistole in der Hand Wache hielt. Als er an die Reihe kam, schaute er sich ein letztes Mal um und sah ein Gewirr an Gliedmaßen aus einem Lüftungsschacht herauswimmeln. Er wartete nicht ab, bis er wahrnahm, wodurch sie verbunden waren.
Saks stieg ins Rettungsboot und machte sich gar nicht erst die Mühe, den Knoten des Nylonseils zu lösen. Er sägte es mit dem Messer durch, dann setzte er den Fuß an den Rumpf des Wracks und stieß sich mit aller Kraft ab. Das Boot trieb hinaus in die Algen. Die Männer hatten bereits die Ruder in den Händen und paddelten wie verrückt, um ihr Gefährt durch den verfilzten Tang hinaus in den Kanal zu bringen.
»Rudert!«, schrie Saks. »Bei allem, was euch lieb ist, rudert!«
Und dann brach der Bug des Boots durch den Algenteppich und hinein in das freie Fahrwasser. Aber sie schauten zurück, nur einmal schauten sie zurück, als sie sich vom Schiff entfernten. Und sie wartete dort, am oberen Ende des Fallreeps. Ihr Gesicht glich einem verschwommenen weißen Fleck wie auf einem unscharfen Foto. Aber ihre Augen konnte man sehen – wie gelbe, sterbende Sonnen, die in einem schwarzen, gottlosen Sternennebel versanken. Diese Augen hassten. Sie tobten. Und vor allem hungerten sie.
Cook sah sie, genau wie die anderen.
Aber was er eigentlich betrachtete, waren ihre Hände, die sie um die Reling gekrallt hatte. Nein, keine Hände. Verblasste, dornige Krallen.
Dann verschluckte der Nebel sie.
Verschluckte die Cyclops und begrub sie in einem Leichentuch aus gierigem Nebel.
»Was ... heilige Scheiße ... was ist das nur gewesen?«, keuchte Menhaus.
Aber Cook sagte es ihm nicht, würde es nie sagen. »Rudert«, befahl er schlicht. »Rudert und hört nicht auf damit.«
26
Der Nebel wurde immer dichter und die Männer immer müder.
Ihre Arme fühlten sich vom ewigen Rudern wie Gummi an. Eine gute Sorte von Müdigkeit. Eine körperliche Erschöpfung, wie sie sie schon seit Tagen nicht mehr gespürt hatten, genau richtig. Geistig fühlten sie sich schon viel zu lange ausgelaugt, und es war ein gutes Gefühl, dass ihre Körper jetzt aufholten.
Immer tiefer gerieten sie in das Algenmeer hinein, und bisher hatten sie außer Müll noch nichts Interessantes entdeckt. Holzreste hier und da, und einmal etwas, das der Rest von einem Stuhlkissen sein mochte. Die Sachen konnten von der Mara Corday stammen, ebenso gut aber auch von einem anderen Schiff.
Der Nebel natürlich, der blieb eine Konstante.
So dick wie Baumwollflaum.
Undurchsichtig, ausufernd und wuchernd erhob er sich in schmutzig-gelben Laken und funkelnd weißen Planen wie ausdünstende Sumpfgase, brodelnd und wogend und gärend in einem dünnen, morastigen Schleier. Eine Patchworkdecke aus schmutzigem Sackleinen und schimmeligem Segeltuch, alles ohne jede erkennbare Begrenzung. Man
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