DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
Algen.
Der Körper eines Menschen. Ein Besatzungsmitglied der Mara Corday? Man konnte es nicht genau erkennen. Er lag auf dem Boden des Bootes in etwa fünf Zentimeter schmutzigem schwarzem Wasser, umschlungen von Girlanden aus pulsierendem Tang. Sein Gesicht wirkte scharf und knochig, bleich und leblos, sein Körper entsetzlich verschrumpelt und eingefallen. Und er atmete. Nur sehr flach, aber er atmete.
»Er lebt«, flüsterte Cook.
Aber die anderen wollten nichts davon wissen. Der Anblick eines Menschen, eingewickelt in diese Stängel und Knollen und rosafarbenen Ranken, hatte etwas Diabolisches und zutiefst Makabres an sich. Cook begann, das Gestrüpp von ihm loszureißen – und zuckte zusammen, als sich ein einzelner öliger Ausläufer mit einem ploppenden Geräusch vom Hals des Mannes löste, was sich anhörte wie ein Saugnapf, der von einer Plastikoberfläche abgerissen wurde. An seinem Hals befanden sich ovale Saugspuren. Ja, die Algen hatten ihn umschlungen, ihn in ihr opulentes Gewucher hineingezogen und ...
»Sie ... sie saugen sein Blut aus«, winselte Menhaus mit hoher Stimme. Der Gedanke erfüllte ihn mit einem absoluten, irrationalen Entsetzen. »Diese Scheißalgen ... sie saugen ihm das Blut aus ... «
Niemand widersprach ihm.
Denn genau das taten die Algen offensichtlich. Die pulsierenden rosafarbenen Ranken wiesen Saugorgane an den Unterseiten auf, die aussahen wie kleine Gummimünder. Sie fühlten sich wie klebrige Arterien an. Der Mann im Boot wurde langsam ausgesaugt, Tropfen für Tropfen zur Ader gelassen.
Cook blickte auf seine blutigen Hände. Ein trockener, kratziger Schrei entrang sich seiner Kehle. Er taumelte zurück ins Rettungsboot. Das andere Schiff wurde wieder hinaus in den Nebel gezogen, und deutlich konnten sie die Geräusche hören, die von ihm ausgingen. Emsige, verstohlene Geräusche. Raschelnde, gleitende Geräusche, als befände es sich voller Schlangen. Aber es waren keine Schlangen, es war etwas viel Schlimmeres.
Cook hing über der Bootskante und wusch sich fieberhaft die Hände.
»Unrein«, sagte Crycek mit leidender Stimme. »Oh, so schrecklich und unrein ...«
4
»Das ist kein Schiff«, sagte Marx, der mit zusammengekniffenen Augen in den wieder dichter werdenden Nebel starrte. »Weiß nicht, was zum Teufel das ist.«
Auch die anderen hatten keine Idee. Ein vager, grauer Schatten, umleckt von Nebelzungen, düster und unscharf. Groß wie ein Schiff, aber flacher und breiter. Nun, da offenbar die Nacht anbrach, bestand Goslings Plan darin, ein Schiff zu finden, auf dem sie ein Lager aufschlagen konnten. Nicht das ungastliche Skelett eines alten pilzbewucherten Segelschiffs, sondern etwas Neueres. Einen Frachter oder ein Containerschiff, etwas, womit er sich auskannte. Ein Schiff, das frisches Wasser in den Tanks und vielleicht sogar essbare Verpflegung in der Vorratskammer hatte. Aber zunächst einmal richtete sich die Neugier der Männer auf das, was sie am Rand des Nebels wahrnahmen.
»Sicher möchten wir gar nicht wissen, was es ist«, meinte Pollard.
Chesbro, momentan nur an Zuflucht und Essen und sonst nichts interessiert, stimmte ihm zu.
»Ach, haltet die Klappe«, meinte Marx.
Also ruderten sie tiefer in den Schiffsfriedhof hinein. Der Nebel senkte sich über sie wie ein Baldachin, verschleierte alles und ließ die alten toten Schiffe unkörperlich und ätherisch erscheinen. Sie ruderten an zerfallenen Rümpfen vorbei und an Masten, von denen Algen und ganze Pilztrauben herabhingen. Die Tangdecke war so dick, dass sie manchmal kaum vorankamen. Stellenweise erhoben sich hohe Algenbänke aus dem Wasser, und selbst da, wo das Kraut nur bis zur Wasseroberfläche oder knapp darunter reichte, wirkte es verknäuelt und zäh und wickelte sich um die Ruder und den Bug des Rettungsbootes. Das Floß hatte es einfacher, denn es glitt über das Zeug hinweg, außer dort, wo es sich zu großen Inseln dampfender Vegetation auftürmte.
Je tiefer sie in den Schiffsfriedhof hineingerieten, als desto dicker entpuppte sich der Pflanzenteppich – und desto mehr Schiffe hingen darin fest. Manche hockten aufrecht auf dem Seetang, andere lagen auf der Seite und versanken langsam darin. Sie kamen an gekenterten Rümpfen vorbei, mit Muscheln überkrustet, und am mastlosen Wrack einer Rennjacht. Einmal glaubten sie sogar, den Bug eines Wikinger-Drachenschiffs aufragen zu sehen, aber es hätte unter dem allgegenwärtigen Grünzeug auch etwas ganz anderes sein können.
Je mehr
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