DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
achtern bis zum Fockmast vorne hingen alle Segel wie modrige Grabtücher zerrissen und in Streifen von den Rahen. Die meisten Stage verrottet, die Klüver ganz verschwunden. Pilzgeflechte und baumelnde Klumpen aus Seetang hingen in den Überresten der Takelage, um Masttops und Rahen geschlungen. Wie Spinnweben schmückten sie den Großbaum. Vom Vorpiek bis zum Heck wirkte die Lancet tot und verwesend, exhumiert aus einem schlammigen Grab, tropfend vor Schleim und überzogen von Schimmel und anderen unerfreulichen Gewächsen.
Alles stank nach Salzwasser, Alter und Fäulnis.
Als George und die anderen sich in Bewegung setzten, knarrten die ausgeblichenen, überkrusteten Deckplanken unter ihnen, und die Masten ächzten, als wollten sie jede Sekunde umstürzen. Eine Art gelbes Moos überwucherte die Hauptkajüte. Im Bug stießen sie auf riesige, angelaufene Kessel und hinter dem Fockmast erwartete sie eine große, beeindruckende Schiffskanone, vom Alter ganz grün. Ein Geflecht aus Schimmelpilzen hing von ihrem Geschützrohr herab, als hätte sie ihre Innereien erbrochen.
Aber mit alldem hatten sie gerechnet. Die eigentliche Überraschung fanden sie auf dem Achterdeck.
Große Wagenräder waren mit rostigen Flachnägeln aufrecht an die Kajütenwände genagelt worden. Und daran hatte man Vogelscheuchen mit gespreizten Armen und Beinen festgebunden. Nur dass es sich nicht um Vogelscheuchen handelte, sondern um die Mumien von Menschen – Hüllen aus ledriger Haut, an unzähligen Stellen aufgeplatzt, die darunterliegenden Knochen freigelegt. Die Gesichter nichts als mit Haut überzogene Schädel, die Münder weit aufgerissen. Pilze und Algenranken bedeckten sie, hingen in langen Bändern und ineinander verschlungenen Fäden von ihren Rippen, Ellen und Unterkiefern.
»Mein Gott«, sagte Menhaus. »Was ... was ist das?«
»Sag du’s mir«, antwortete George.
Und so war es nicht nur auf dem Achterdeck, sondern überall. Die Lancet erwies sich als einziges Mausoleum. Überall lagen Knochen verstreut, manche als ganze Skelette, manche wie weggeworfen nach einem Festgelage von Menschenfressern. Skelette hingen in Käfigen, die an den Rahen baumelten, und an improvisierten Galgen, unter denen man sich hinwegducken musste. Andere hatte man an die rostigen Mastringe des Großmastes gefesselt. Sie stierten mit leeren Augenhöhlen und grinsenden Gesichtern nach unten. Fetzen von Kleidung oder Reste von Fleisch hingen noch an den Knochen. Überall glotzten morbide Schatten und grausige Totenmasken, qualverzerrte Gesichter, bis auf die Knochen eingeschrumpft, und einbalsamierte Gestalten – wie mit Spinnweben überzogene Todesengel auf einem Friedhof.
Menhaus taumelte entsetzt zurück, aber die Toten warteten an jeder Ecke. Er stolperte über einen Haufen vergilbter, kinnloser Schädel und stieß einen hohen, jämmerlichen Schrei aus.
Es war zu viel. Wirklich zu viel.
Entlang der Decks befanden sich vergitterte Lukenöffnungen und darunter kleine, enge Zellen, die nicht mehr als einen Meter hoch sein konnten. Und in ihnen: Knochen. Unzählige Skelette hatte man dort hineingestopft und aufgehäuft und durcheinandergeworfen. Es mussten Hunderte sein, mit Ketten und Fußeisen gefesselt. Gebeinhäuser. Nein, mehr als das, denn als Cushing mit der Taschenlampe in eine der Todesgruben leuchtete, erkannte er deutlich etwas Unvorstellbares . Man hatte die Skelette dort unten nicht nur wild durcheinander hineingestopft, sondern sie schienen auch verkokelt zu sein, als hätte man sie verbrannt. Und sie wirkten geschmolzen . Ja, aufgelöst und miteinander verschmolzen, wie in Säure getaucht.
Was für eine Hitze war in der Lage, Knochen zu verschmelzen?
»Das ist doch völlig krank«, stöhnte George. »Das ist ein Gefangenenschiff oder so was.«
Aber Cushing wirkte nicht überzeugt. »Ich glaube, es ist noch schlimmer.«
Plötzlich knarrte etwas hinter dem Besanmast, und eine Stimme sagte: »Sklavenhändler. Es ist ein Sklavenschiff gewesen.«
George wäre beinahe tot umgefallen.
Ein gebeugter, ausgemergelter Mann mit langem, weißem Haar und dazu passendem Bart trat vor, das Gesicht schmutzig und zerfurcht wie alter Sandstein.
»Dr. Greenberg, nehme ich an?«, fragte Cushing.
26
»Der Auslöser war natürlich das, womit uns die Navy bei Projekt Neptun betraute«, erklärte Greenberg. »Wir erforschten elektromagnetische Gravitation, versuchten, unter Laborbedingungen anormale elektromagnetische Stürme zu erzeugen. Wir
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