DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
näher.
25
Im einen Moment war da der Nebel, dicht und gasig und alles einhüllend, ein dampfendes, brodelndes Etwas, das sich in düsteren, feuchten Rhythmen, die man nicht einmal erahnen konnte, selbst gebar. Etwas Heißes, Schwelendes, geboren in schwefligen Tiefen, wabernder Qualm und Dampf und schädliche Dünste, etwas, das sich ausbrannte mit seiner eigenen Hitze, Druck und tödlichem Radium-Atem.
Und im nächsten Moment – im nächsten Moment sahen die Augen durch das Gespinst des Herbstnebels und die sich auflösenden Fasern und Fäden hindurch und erblickten etwas, das ein wucherndes Fieber im Inneren entfachte, bis man glaubte, die Innereien würden einem schmelzen und durch die Poren nach außen dringen.
Als sie es sahen, hörten sie auf zu rudern.
Sie hielten den Atem an und vergaßen zu sprechen.
Denn nicht sie hatten die Lancet gefunden, sondern das Schiff hatte sie gefunden.
George hatte sich ausgeruht, eine Zigarette geraucht und das Licht am Ende des Tunnels gespürt. Dabei nicht aufgeblickt, nicht großartig Notiz davon genommen, dass die Tangklumpen häufiger und dicker wurden, sich immer öfter zu Teppichen vereinten und zu großen grünen und gelben Tangbänken zusammenfanden. Er hatte alldem keine Beachtung geschenkt, denn dazu hätte er den Nebel ansehen müssen, und dafür besaß er nicht mehr die Kraft. Seit endlosen Tagen hingen sie in seiner klaustrophobischen Umarmung fest, und je mehr er ihn beachtete, desto mehr drückte er ihn nieder. Er drang in seine Nase und seine Augen, verstopfte seine Poren, verseuchte seine Lunge. George fühlte sich benommen und halb erstickt, wie ein zuckender Fisch am Ufer.
Deshalb schaute er nicht hin, als die Lancet vor ihnen auftauchte wie der Fliegende Holländer, wie ein Pestschiff mit brodelnder schädlicher Fracht im Bauch. Aber er wusste, dass sie das Schiff erreicht hatten, denn er konnte es spüren . Er spürte, wie es sich ihnen näherte und mit knochigen Fingern nach ihnen griff. Ein Gefühl, als wäre ein Gewitter im Anmarsch oder ein Tornado in den Ebenen von Kansas. Ein plötzlicher Druckabfall, eine Veränderung der Luft, ein Zittern im Nebel. Eine Verdichtung der Atmosphäre und eine Verdünnung, ein brodelnder Makel. Ein Eindruck von komprimierter und implodierter Zeit. Alles schien aufgeladen, stickig und gesättigt zu sein, als habe man die Welt in einem schwarzen Schwall pulsierender Materie ertränkt.
Er hob den Blick, und da war sie.
Ein großer, langer Fünfmastschoner, einst stolz und erhaben, doch jetzt nur noch tot. Ein Totenschiff. Ein Leichenschiff. Ein majestätischer Leviathan, stranguliert von den Stricken und Geflechten der wuchernden, stinkenden Algen – hier war er gestorben, hatte getobt und gekämpft und um sich geschlagen, um schließlich zu sterben. Ein gewaltiger Meeressaurier, der unter dem Sargtuch seines eigenen urzeitlichen Atems verschied. Das Fleisch war ihm von den Knochen gepickt worden, die Haut von Würmern durchbohrt und von schleimigen Kreaturen angenagt, sein Leichnam zu Aas vermodert unter einem Leichentuch aus Seetang und bizarren Pilzgewächsen. Nun lag er feierlich aufgebahrt, ein riesiges versteinertes Fossil, ein Labyrinth aus fleischlosen Bögen und spinnenartiger Takelage, aus Mastskeletten und verwitterten Knochensprossen. Ein Gebilde aus Schatten und Schemen und wallendem Brodem.
Ein Geisterschiff.
»Da! Da ist es!«, rief Menhaus mit rauer, kratziger Stimme.
Sie nickten, oder auch nicht, vor allem spürten sie es, dieses große Schiff, das nach Tod, Wahnsinn und Schwärze roch. Aber das war nur das, was sie in ihren Köpfen rochen. Ihre Nasen empfingen gleichzeitig einen abstoßenden, ekelhaften Gestank nach feuchter modriger Erde und angefaulten Knochen, die in Abwassergräben vor sich hin rotteten. Die Art von Gestank, bei der einem der Mund austrocknete und der Magen zu zucken begann.
Genau so fühlte George sich. Als hätte er etwas Verdorbenes verschluckt, gegen das sein Magen rebellierte. So fühlte sich die Angst an, die dieses alte Schiff hervorrief. In ekelerregenden Wellen breitete sie sich im Bauch aus. Schon allein beim Anblick des Schiffs hätte er sich am liebsten übergeben.
Er konnte es in den Gesichtern der anderen lesen – die entsetzte Resignation, die Akzeptanz des ultimativen Unheils. Diesen Blick fand man auf alten Fotos in Gesichtern, die gegen die Zäune von Mauthausen oder Birkenau gepresst waren: intime Vertrautheit mit dem Grauen und resignierende
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