DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
Bewusstsein. Spukgestalten, Schatten, Gespenster.
»Hören Sie was?«, fragte Gosling.
»Ich bin mir nicht sicher.« Und das war er auch nicht. Pure Einbildung oder ... oder wollte ihm etwas nur einreden, dass er es sich einbildete?
»Dieses Rauschen ist seltsam – so etwas habe ich vorher noch nie erlebt. Die Geräusche darin, dieses gelegentliche Summen. Wenn man zu lange zuhört, bekommt man das Gefühl ...«
»Dass es auch lauscht?«
Aber wenn Gosling das ebenfalls meinte, so sagte er es nicht, und sein Schweigen war womöglich noch vielsagender.
Er spürt es auch, dachte George. Er spürt etwas da draußen, etwas, das uns belauscht, etwas Kaltes und Räuberisches ... etwas, das sich über uns amüsiert.
Aber George wusste, dass er damit aufhören musste. In dieser Richtung lag die Straße in den Wahnsinn, und wenn man sie einmal betreten hatte, gab es keinen Weg zurück. Es handelte sich um eine Einbahnstraße.
Gosling schaltete das Funkgerät aus. »Da ist nichts«, sagte er. »Gar nichts.«
Wenn sie beide sich das immer wieder einredeten, dachte George, glaubten sie es irgendwann wirklich.
Er starrte den Nebel an, als warte er nur darauf, dass dieser seine Zähne zeigte. »Sie haben nicht viel Hoffnung für uns, stimmt’s?«
Gosling zuckte die Schultern. »Ich halte nicht viel von Hoffnung oder Glauben oder Glück. Früher habe ich mir vieles erhofft, mir vieles gewünscht. Die Erfahrung hat mich eines Besseren belehrt. Man ist selbst für sein Glück verantwortlich. Damit will ich nicht sagen, dass es so etwas wie Glück nicht gibt. Es existiert ganz bestimmt. Aber nicht für mich und wahrscheinlich auch nicht für Sie. Manche Leute haben es, die meisten nicht.«
George lachte auf. »Das können Sie laut sagen.«
Schweigend saßen sie da und wünschten sich, sie hätten etwas zu rauchen oder etwas Alkoholisches. Irgendetwas. Menschen liebten nun einmal ihre chemischen Abhängigkeiten, und nie bedeuteten sie ihnen so viel wie in Notsituationen.
»Scht«, machte Gosling.
»Ich höre ni...«, begann George, doch dann bekam er es auch mit.
Sehr leise, aber nicht zu leugnen: eine Art Klopfen. Und es kam von unterhalb des Floßes. Kein so auffälliges Geräusch wie vor einigen Stunden, als das Floß aus dem Wasser gestoßen worden war. Ganz anders, eher tastend, forschend, neugierig. George hörte es und dachte mit einem kalten Gefühl, dass es sich wie Fingerspitzen anhörte, die von unten dagegentappten. Jetzt wurde es lauter, stoßend und quietschend, dröhnend.
»Mein Gott ...«
»Seien Sie still«, warnte Gosling.
Es lief die Unterseite des Floßes auf und ab, knarrend und stoßend und kratzend. Dann berührte es das Floß nur noch vereinzelt.
Als das Geräusch schließlich nach mehr als fünf Minuten verstummte, fragte George: »Was glauben Sie, was das gewesen ist?«
Gosling schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich hoffe nur, dass es uns in Ruhe lässt.«
11
Saks sah den Jungs beim Spielen zu und fühlte sich schuldig. Er war es schließlich gewesen, der diesen Haufen aus Muttersöhnchen, Schwanzlutschern und Gehirnamputierten angeheuert hatte.
Der Nebel war heller geworden, und die Jungs wirkten ganz aufgeregt, dass jetzt die Sonne herauskommen, den Nebel vertreiben und sie in Nimmerland absetzen würde. Dabei wussten sie es doch eigentlich besser. Der Nebel schien irgendwie stärker zu leuchten, das schon, aber für Saks sah das überhaupt nicht nach Sonnenschein aus, mehr nach silbrigem Mondlicht, das der Nebel gelb einfärbte. Kein sauberes Licht, eher schmutzig wie Sonnenlicht durch eine gelbe Fensterscheibe.
Alles andere als normal.
Gut, man konnte die Gesichter der anderen erkennen, recht gut sogar, aber es hatte nichts mit einem sonnigen Tag gemein.
Nachdem sie das Rettungsboot erreicht hatten und alle mit einem Happen zu essen und einem Schluck Wasser versorgt worden waren, hatten sie ausgiebig gequatscht und waren dann einer nach dem anderen eingeschlafen – bis zu dem Moment hatten sie ihre Erschöpfung gar nicht bemerkt. Saks selbst hatte fast fünf Stunden lang tief geschlafen.
Aber jetzt fühlte er sich besser. In Bestform.
Und sein Gehirn lief wieder auf allen Zylindern. Denn worüber er nachdachte, als diese Idioten mit der Angelausrüstung aus den Überlebenskisten herumfummelten, war nicht, wie sie am Leben bleiben konnten, sondern wie er überleben konnte. Wie er die Kontrolle über diesen Trupp Hilfsarbeiter übernahm und dafür sorgte, dass sie zu
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