DEAD SHOT
jede Explosion, die ihn nicht tötete, das Problem anderer Leute. Aber seit dem Ende der IRA-Terroranschläge in London hatte Lester keine Explosion mehr in der Hauptstadt erlebt. Er sah in das Gesicht seiner Reporterin und entdeckte kein Blut, nur Panik. Schnell goss er etwas Wasser in die hohle Hand, wischte Kimberley durchs Gesicht und gab ihr zu trinken. Doch dann glaubte er, die Frau genug geschont zu haben und schüttelte sie fest an den Schultern. »Aufwachen, Kim, verdammt noch mal! Reiß dich zusammen! Dir ist gerade eine Monsterstory in den Schoß gefallen!« Er drehte sich um und sah den jungen Toningenieur, der verwirrt aus der Seitentür des Vans schaute. »Zurück ans Mischpult, Harold. Stell eine Liveverbindung nach Little Rock für uns her. Los, Junge! Wir sind nicht zum Sightseeing hier!« Er griff nach seiner Fernsehkamera, überprüfte sie kurz auf mögliche Schäden, wischte einmal über die Linse und hievte sich das Gerät dann auf die Schulter. Sofort zoomte er das Feuer, die schwelenden Überreste der Übertragungswagen und die Toten heran.
Kim befand sich in einem inneren Zwiespalt und wusste nicht, ob sie über das Ereignis berichten sollte oder nicht doch den blutenden Opfern helfen müsste. »Nun mach schon, Kim!«, drängte Lester. »Noch gehört die Story uns allein, aber die anderen Sender lassen nicht lange auf sich warten. Das ist deine Chance, Mädchen! Lass dir das nicht entgehen!«
»Aber all die Leute hier, Tom …«, begann sie unsicher.
»Ach, scheiß drauf«, schnarrte er. »Wir gehen alle ein Risiko ein. Die hat’s erwischt, uns nicht. So ist das Leben! Die Sanis werden sowieso gleich hier sein, aber unser Job ist es, diese verdammte Story zu bringen! Du solltest dir jetzt schleunigst überlegen, ob du eine Reporterin oder Florence Nightingale sein willst. Wenn du jetzt diesen armen Teufeln hilfst, dann kannst du deine Karriere vergessen.« Er musste dafür sorgen, dass sie sich auf ihren Job konzentrierte, denn sonst würde sie zaudern. Verdammte Neulinge!
Harold kam angelaufen und stattete die beiden mit Kragenmikrofonen und Ohrhörern aus. »Wir haben Kontakt zum Sender. Los jetzt!«
»Kim? Was ist da drüben los bei euch?« Die vertraute Stimme des Nachrichtendirektors daheim in Arkansas wirkte beruhigend auf Kim.
»In einem der Ü-Wagen ist es zu einer Explosion gekommen«, antwortete sie. »Es war nicht nah bei der Paradestrecke und hat auch vielleicht nichts mit der Hochzeit zu tun. Vielleicht ein überhitzter Generator oder so.«
Lester schaltete sich über sein eigenes Mikro in das Gespräch ein. »Ach, vergiss es, das verdammte Teil flog unmittelbar neben uns in die Luft! Ich habe ein paar echt geile Aufnahmen im Kasten, Mann. Leichen und Feuer und alles, was Quote bringt. Kim und ich sind bisher die Einzigen, aber bald wird es hier von Kameras nur so wimmeln. Bring uns auf Sendung!«
Die Stimme in ihrem Ohr teilte ihr mit, sich bereitzuhalten, da die Liveschaltung hergestellt wurde. Der Nachrichtendirektor brauchte einen Augenblick, um sich mit dem Management des Senders abzusprechen. Feuer und Zerstörung machten sich immer gut im Fernsehen, sogar noch besser, wenn Medienvertreter direkt involviert waren, und das war bei Kimberley Drake der Fall! »Überleg dir, was du sagen willst, Kim. Wir sind in einer Minute auf Sendung. Deinen Bericht bieten wir den großen Agenturen und Sendern an.« Die zusätzlichen Einkünfte aus einem exklusiven Material könnten die gesamten Kosten von Kims Reise abdecken.
Ihr Herz pochte wie verrückt, aber Tom munterte sie mit einem Lächeln und einem Daumen-nach-oben-Zeichen auf. Der Sender würde ihren Bericht bringen! Noch waren an den schwelenden Trümmern keine anderen Reporter, da alle versucht hatten, möglichst nah an der Paradestrecke zu sein. Kim holte ihre Bürste und einen kleinen Handspiegel aus der Handtasche, aber da schlug Lester ihr beides aus der Hand und meinte, das zerzauste blonde Haar, das ihr in die Stirn hing, und der Schmutz im Gesicht trage zur Authentizität bei. Doch eigentlich wollte er nicht, dass Kim im Spiegel das Blut sah, das als kleines Rinnsal über ihre verschmutzte Wange lief. Ein Knopf hatte sich an ihrer Bluse gelöst und gab den Blick frei auf Kims BH aus schwarzer Spitze. Sie sah verdammt sexy aus. Die Stimme in ihrem Ohrhörer zählte von zwanzig an rückwärts. Dann hörte sie den Nachrichtensprecher des Senders sagen: »… und hier ist die Reporterin Kimberley Drake am Ort der
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