DEAD SHOT
Staatsbürgerin zu werden. Die Regierung zeigte sich erkenntlich, da Delara mitgeholfen hatte, das Giftgas aufzuspüren, das in London zum Einsatz gekommen war.
»Hast du den Wal gesehen, der eben gesprungen ist?«
»Ja. Die sehen wir hier draußen oft, weil wir abseits der großen Schiffsrouten segeln.« Sie sprach leise. Ihr britischer Akzent war ausgeprägter geworden. »Großartige Geschöpfe. Wie kann man so etwas nur zu einer Touristenattraktion machen?«
Kyle sah die junge Frau an. In ihren braunen Augen lag kein Kummer mehr. Der ganze Stress des Einsatzes in ihrer Heimat war von ihr abgefallen, den Tod ihres Bruders hatte sie zwar nicht vergessen, aber zumindest besser verarbeitet. Sie trug eine Sommerhose und eine weiße Bluse, hatte kaum Make-up aufgetragen. Sie brauchte keine Schminke, stellte Kyle fest. »Geht’s dir besser?«
»Mir geht’s gut«, antwortete sie mit fester Stimme. »Ich denke oft an meine Familie, meine alten Kollegen und an mein Land. Dieser Teil von mir scheint tot zu sein, und jetzt ist eine neue Delara wiedergeboren.«
Swanson lachte. »Das Gefühl kenne ich.«
Delara errötete, stimmte in das Lachen mit ein und schützte sich mit einer Hand gegen das Sonnenlicht. »Oh, ich hatte ganz vergessen, dass auch Kyle Swanson tot ist. Dann kennst du das Gefühl ja wirklich.«
»Ja, willkommen im Club.«
»Lady Pat und Sir Jeff haben mir alles erzählt, Kyle. Ich musste schwören, es niemandem zu erzählen, aber da du oft zu Besuch kommst und den beiden so viel bedeutest, meinten sie wohl, ich solle mehr über dich erfahren. Es tut mir sehr leid, was mit Shari passiert ist. Sie muss eine wunderbare Frau gewesen sein.«
»Das war sie, ja, das war sie wirklich.« Alles so lange her , dachte er. So lange.
Ein Deck höher standen Pat und Jeff mit Drinks an der Reling und beobachteten Kyle und die junge Iranerin. »Zwei taffe junge Leute, die sich langsam von allem erholen«, meinte Jeff.
»Sir Geoffrey Cornwell, Sie sind ein blinder Esel«, schalt sie ihn im Scherz. Dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und lehnte sich an ihn. »Selbst du müsstest doch sehen, dass es zwischen den beiden da unten funkt.«
»Was? Patricia, sie stehen nicht mal besonders eng beieinander. Sie unterhalten sich bloß nett.« Sie lächelte. »Natürlich, mein Lieber. Du hast wie immer recht.«
Bali, Indonesien
Die Träume waren eine neue Form des Daseins, verstärkt durch die Opiate und den Weihrauch, der in Schwaden durch den Raum zog. Shiva, der Zerstörer, war hinter ihm her, mit seinen vier Armen, dem dritten Auge und dem Schlangenhaupt. Dann wiederum verwandelte sich Shiva in den goldgefiederten Garuda mit den hervortretenden Augen und dem gebogenen Schnabel, der etwas von der Ruhe des allwissenden Vishnu mitbringt. Ein aufflammender Schmerz, dann noch stärkere Opiate und weitere furchtbare Träume. Diese Abfolge zog sich über eine lange Zeit hin, während der der rätselhafte Patient im Niemandsland ständiger Halluzinationen schwebte. Die Ärzte in der Spezialklinik wunderten sich, dass er immer noch lebte, zuckten die Schultern und gingen dann ihrer Arbeit nach.
Eines Tages schließlich, als die langwierigen gesichtschirurgischen Maßnahmen und Zahnoperationen abgeschlossen waren, wurde der Patient, der nun auf dem linken Auge blind war, aus seiner Traumwelt entlassen. Bereits eine Stunde später lag er nicht mehr im Bett, sondern machte mithilfe der Schwestern seine ersten Schritte auf den sauberen Holzdielen der Klinik. Helles Sonnenlicht flutete durch die langen, mit Jalousien versehenen Fenster. Physiotherapeuten begleiteten den Genesungsprozess, aber der Patient schien den Schmerz in sich aufzunehmen und trieb sich selbst an den Rand der Erschöpfung. Mehrmals verlor er das Bewusstsein, wenn er sich wieder einmal überfordert hatte. Doch nach einem Monat spazierte er schon am nahe gelegenen Strand entlang, allein. Er hinkte noch wegen des gebrochenen Beins, aber trotzdem schritt er energisch aus und wurde von Tag zu Tag kräftiger. Abends schlief er begleitet von den monotonen Geräuschen des Dschungels ein. Er fütterte einen neugierigen Gecko, der sein Freund wurde.
Nach wenigen Monaten verlegte man ihn aus der Klinik in eine Villa hoch über den Reisterrassen und Wäldern. Von dort oben konnte er das Meer sehen. Die medizinische Betreuung ging weiter. Bedienstete versorgten ihn und staunten über die täglichen Übungen, die der Patient sich selbst auferlegte: Rumpfbeugen,
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