DEAD SHOT
Als sie die große spiegelblanke Eingangshalle betrat, kam ihr der Ort wie ein gigantisches Grabmal vor. Eine deutlich spürbare Aufregung lag in der Luft, während die Männer und Frauen der Militärdienste sich schon einmal gedanklich auf einen neuen Angriff auf die Heimat einstellten. Auf direktem Weg begab sich Sybelle zu den Büros von Trident.
Major General Middleton und Lieutenant Commander Freedman schauten fern. Der General schaltete von einem Kanal auf den anderen, da jedes Network sein gesamtes Programm auf die Nachrichten aus England abgestimmt hatte. Keine frohgelaunten und lächelnden Moderatorinnen in irgendeinem Morgenstudio, nur makabre Fakten.
»Wie geht es Dawkins?«, erkundigte sie sich.
»Die Ärzte in Kuwait sagen, dass das alte Schlachtross überleben wird, um noch einen weiteren Tag zu kämpfen«, sagte Middleton und wechselte sofort das Thema. »Sind Sie bei diesem Anschlag in London auf dem Laufenden?«
»Ja, Sir. Ich habe die Nachrichten am Fernsehen verfolgt und die Post und die Times gelesen.« Sybelle ließ ihre Handtasche auf den Tisch fallen. »Inwieweit decken sich die Nachrichten mit unseren Geheimdienstquellen?«
»Wir kriegen keine verdammten Geheimdienstinfos«, schnaubte Middleton. »Wieder einmal wurden den Geheimdiensten Millionen Dollar hinterhergeworfen. Es gibt kaum noch ein Gesetz, an das sie sich halten müssen, und was liefern die Spooks ab? Nichts! Wie kommt es, dass immer Fernsehteams vor Ort sind, aber keine Profis vom Geheimdienst?«
General Middleton stellte den Ton vom Gerät leiser und telefonierte kurz mit der zentralen Kommandostelle des Pentagons, die den Notfall in England überwachte. Er erkundigte sich nach der Zahl der Opfer, brummte etwas in sich hinein und legte auf. »Weniger als einhundertundfünfzig Tote bislang. Leute, die der Explosion der schmutzigen Bombe zum Opfer gefallen sind oder sich in der Panik gegenseitig totgetrampelt haben. Eine beträchtliche Anzahl Verletzte. Die Royals wurden eilig in Sicherheit gebracht, nach Balmoral Castle in Schottland. Echse, zeigen Sie ihr, woran Sie gerade arbeiten.«
Freedman schob einen Stuhl an ein kleines Computerterminal und drückte ein paar Tasten auf dem Keyboard. Augenblicklich ersetzte eine Karte die Nachrichtensendung auf dem Fernsehbildschirm. Freedman verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Ein oval geformter roter Klecks markierte die Stelle, an der die Auswirkungen des Anschlags am heftigsten waren. Orangefarbene und gelbe Bereiche zeigten die Abstufungen in der Gefahrenzone und gleichzeitig die Windrichtung. »Die anfängliche Panik legte den Verkehr lahm, aber die Behörden riefen sofort die Notfalleinheiten auf den Plan. Verkehrskontrolle, Quarantänebestimmungen und neutralisierende Duschvorrichtungen. Die Leute wurden in die unbelasteten Zonen geschleust. Dank der Warnung des Einsatzleiters der Feuerwehr waren die ersten Einheiten bereits in Schutzanzügen und haben so vermutlich noch etlichen hundert Menschen das Leben retten können.«
»Der 11. September der Briten«, meinte Sybelle. »Schlimmer als die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg.«
Middletons Miene war verkniffen. »Die haben sich das falsche Land ausgesucht. Nicht nur, weil wir Englands großer Bruder sind und denjenigen den Arsch versohlen werden, die das getan haben, sondern auch, weil die Briten ein zähes Volk sind. Die werden sich nicht unterkriegen lassen. Fragt Hitler.«
Die Echse war inzwischen aufgestanden und schritt unruhig im Raum auf und ab, während er sprach. »Ich habe ein paar statistische Analysen gemacht, um herauszufinden, welche chemischen Stoffe bei dem Anschlag zum Einsatz kamen. Und ich bin auf etwas gestoßen, womit ich nicht gerechnet habe. Schauen Sie.« Er zeigte auf die tiefrote Zone, die die Maximalschäden kennzeichnete. »Achten Sie darauf, wie klar umrissen diese rote Zone ist. Wie nicht anders zu erwarten, liegt der Kampfstoff dort in sehr hoher Konzentration vor.« Dann deutete er auf die anderen Farbskalen. »Aber die anderen Bereiche der Kontamination bilden extrem schmale Bänder.«
Sybelle begriff, auf was der Spezialist hinauswollte. Denn wie alle anderen Force Recon Marines war auch sie in biologisch-chemischer und nuklearer Kriegsführung ausgebildet worden. Der Schwachpunkt jedes chemischen Angriffs ist die atmosphärische Dispersion des Gases. Wenn das Gas mit der Luft in Berührung kommt, beginnt es sich zu zerstreuen und wird immer schwächer, bis es
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