DEAD SHOT
aber nicht früher. Man sah nur in Kinofilmen, dass der Lauf eines Scharfschützengewehrs lange vor dem Schuss aus dem Versteck ragte. Genauso gut hätte man eine Fahne schwenken können, um auf sich aufmerksam zu machen. Den Lauf würde man sehen, ganz gleich, wie gut Kyle versteckt war.
Die Entfernung hätte gar nicht besser sein können. Groß und klar würde das Ziel im Fadenkreuz zu sehen sein. Kyle rollte die Daunenjacke auf und legte sie auf den Sims vor dem Gitter, damit der Gewehrlauf eine stabile Unterlage hatte. Die Schleife am hinteren Stoßdämpfer des Peugeots verriet ihm die Windgeschwindigkeit.
Was geschehen würde, wenn Saladin sich an diesem Tag nicht zum Essen fahren lassen würde, wollte Kyle sich lieber nicht ausmalen. Denn dann würde er die Wachen vor dem Haus erschießen und sich ins Haus vorkämpfen müssen, das wie eine Festung gesichert war. Zu viel Lärm, zu viel Mühe und Gefahr. Aber wer konnte an einem solchen Tag schon einem netten Essen in einem Pariser Edelrestaurant widerstehen?
Er trank etwas Fruchtsaft, schaute durch den Feldstecher und blieb in den Schatten am Bordsteinrand. Konzentriert und ruhig suchte er den Innenhof ab, denn er wusste, dass er sein Ziel verfehlen würde, wenn er sich von Müdigkeit oder Langeweile ablenken ließ. Autos und Lkws fuhren vorbei und wirbelten Straßenstaub auf. Fußgänger liefen über den Gehweg und wurden von den Kameras auf den Mauereckpfeilern verfolgt. Mit leicht gespreizten Beinen und ein wenig vornübergebeugt stand Swanson reglos in der Dunkelheit des Abwassertunnels: Diese Position konnte er unglaublich lange beibehalten. Während die Zeit verstrich, verscheuchte er seine Gedanken aus dem Kopf. Zwei Stunden lang blieb er reglos stehen und schüttelte nur manchmal Arme und Beine aus. Dann änderte er die Position, trat näher an die schmale, rechteckige Öffnung, stützte sich mit den Ellenbogen auf dem kleinen Betonsims ab und hielt weiter Wache.
Der erste Wächter verließ das Haus um 11.28 Uhr. Ein muskulöser junger Mann in gebügelten Jeans, einem weißen Hemd und einem sportlichen Sakko, das er geöffnet hatte. Er kam bis zur Straße, schaute sich dort um und untersuchte das Auto. Dann schloss er es auf und stieg ein. Der Motor sprang an.
Kyle legte den Feldstecher zur Seite, nahm das Dragunow und bettete das Ende des Laufs auf die weiche, aufgerollte Jacke unmittelbar auf dem Sims hinter dem Abflussgitter. Der Peugeot 4007 verdeckte die Öffnung perfekt. Die Schleife bewegte sich nur leicht und verriet Kyle, dass er die Zielfernrohroptik nicht des Windes wegen zu verstellen brauchte. Jetzt verlangsamte er seine Atmung und spürte, wie seine Herzfrequenz abnahm.
Endlich erschien auch der zweite Bodyguard. Ein großer Kerl in einem billigen Anzug ohne Krawatte. Die rechte Hand hielt er hinter dem Rücken unter der Jacke; vermutlich hatte er dort seine Pistole. Jetzt trat auch dieser Mann an den Bordsteinrand und überprüfte die Straße in beiden Fahrtrichtungen. Dann ging er zurück zur Haustür und sagte etwas, das Kyle auf die Entfernung nicht verstehen konnte.
Kurz darauf trat Saladin ins Freie und war auf dem kurzen Weg nicht weiter als zehn Schritte vom Auto entfernt. Der Bodyguard, der vor ihm ging, öffnete die Seitentür. Kyle war nur vierzig Meter von Saladin entfernt, der im Gehen telefonierte. Der Schuss, den Swanson plante, war nicht schwierig. Er zählte bis zum sechsten Schritt mit, betätigte den Abzug und ließ nicht zu, dass Saladin einen siebten Schritt machte. Von der Wucht der Kugel wurde der Mann wie eine Marionette nach hinten geworfen, deren Fäden durchtrennt wurden. Er war augenblicklich tot. Während der Bodyguard am Auto noch erschrocken auf den am Boden liegenden Saladin starrte, nahm Kyle ihn ins Visier und schoss ihm eine Kugel durch den Kopf.
Im selben Moment stieß der Fahrer die Tür auf, sprang mit einem Hechtsprung aus dem Wagen und schaute sich mit gezogener Pistole nach einem Gegner um, doch da war niemand. Am Tor zum Innenhof war alles ruhig. Deshalb lag es nahe, auf den umliegenden Dächern oder in einem der oberen Fenster der Häuser nach einem Scharfschützen Ausschau zu halten. Kyle hatte den Bodyguard, der sich hektisch nach dem unsichtbaren Gegner umschaute, genau im Fadenkreuz und betätigte den Abzug erneut. Da der Mann noch am Boden lag und nach oben schaute, traf ihn die Kugel an der Schulter, drang in die Brust und trat auf Hüfthöhe wieder aus. Der Wächter zuckte bei der
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