Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
gesehen, die ein bisschen unstet fuhr. Zumindest glaubte sie, dass es Marla gewesen war. Sie hatte nur einen flüchtigen Blick auf sie erhascht, als der silberne Taurus an ihr vorbeischoss, doch die Frau am Steuer, die Marla Amhurst Cahill wie aus dem Gesicht geschnitten war, hatte im Vorbeifahren zu ihr hinübergeschaut. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Blick erkennend in Blick geruht, dann nahm der Taurus eine Kurve und verschwand aus Cherise’ Blickfeld. Cherise war so erschrocken, dass sie beinahe gegen die Bordsteinkante gefahren wäre. Ihr war keine Zeit geblieben, sich das Kennzeichen zu notieren. Eilig hatte sie gewendet, doch als sie die besagte Kurve in der sich schlängelnden Straße erreichte, war der Taurus weit und breit nicht mehr zu sehen gewesen.
Und jetzt überlegte sie, ob sie die Polizei anrufen sollte.
Zuerst jedoch musste sie mit ihrem Mann sprechen und seinen Rat einholen. Wenn er sich doch endlich melden würde!
Sie griff nach dem Zerstäuber auf dem Kaminsims und sprühte die Blätter eines Philodendron ein, der in seinem Kübel zwischen dem Fenster und ihrem Klavier stand. Wenn Donald wollte, dass sie stark war, gut. Wenn Gott der Herr wollte, dass sie eigene Entscheidungen traf, dann würde sie es tun.
Abgesehen von der Begegnung mit Marla hätte Cherise gern auch noch andere Dinge mit ihrem Mann besprochen. Es war einfach so, dass sie wirklich nicht wusste, wie sie mit Cissy verfahren sollte. Das Mädchen war ein Pulverfass, das jederzeit in die Luft gehen konnte. Da musste Cherise behutsam vorgehen, sich bei ihr und dem Jungen einschmeicheln, sie daran erinnern, dass sie alle zu einer immer stärker schrumpfenden Familie gehörten.
Auch dieser Gedanke machte Cherise nervös. Sie stellte den Zerstäuber zurück auf den Sims, rückte die glitzernden Spangen zurecht, die ihr Haar aus dem Gesicht hielten, und musterte sich im Spiegel über dem Kamin. O weh, sie wurde alt. Ihr Gesicht wies erste Falten auf, dunkle Flecken auf der Haut musste sie mit Make-up überdecken, ihre Zähne benötigten mal wieder ein Bleaching, und immer mehr graue Fäden durchzogen ihre blonden Locken. Sie war immer noch dünn, doch ihr Körper wurde langsam schlaff. Voller Unbehagen ging sie zum Barschrank, in dem sie eine Flasche Gin aufbewahrte. Sie nahm nur selten Alkohol zu sich, doch an diesem Abend, tja, musste sie sich ein bisschen Mut antrinken. Sie goss einen ordentlichen Schuss Gin in ein Glas.
»Bitte, Donald, ruf an!«, sagte sie ins leere Haus hinein, ein im südkalifornischen Stil gebautes Eigenheim mit drei Schlafzimmern, rotem Ziegeldach und goldfarben verputzten Wänden. Sie füllte ihr Glas mit einem Schluck Tonic Water auf, ging in die Küche und gab eine Limonenspalte und drei Eiswürfel hinzu. Den Blick nach draußen gerichtet, fragte sie sich, ob sie das Richtige tat. Sie erwog sogar, eines der Kinder anzurufen, entschied sich jedoch dagegen. Seit Weihnachten hatte sie nur einen einzigen Anruf von ihnen erhalten, und da ging es um Geld.
Natürlich.
Undankbare Kinder.
Sie hatte den Verdacht, dass ihre beiden Ältesten sich völlig von Gott losgesagt hatten. Ihr Mann in seiner liebevollen Art war der Meinung, dass sie zurückfinden würden, wenn ihre Zeit gekommen sei. Sollten sie sich selbst entscheiden. Gott würde sie führen. Sie selbst war dahin gehend nicht so sicher. Sie fürchtete vielmehr, dass sie ihr schwer verdientes Geld für Bier und Gras, vielleicht sogar für Ecstasy und Psilos verschwendeten. Lieber Gott, sie wusste doch, auf welch abschüssigen Weg Drogen führten, und die Vorstellung, dass ihre Kinder damit experimentierten, versetzte sie in Todesangst. Und in Wut.
»Tja«, sagte sie und trank vorsichtig einen kleinen Schluck. Hmm. Noch ein Schluck, und der kühle Gin rann angenehm durch ihre Kehle.
Sie ging zurück ins Wohnzimmer und begann, sich zurechtzulegen, was sie sagen, wie sie mit Cissy warm werden würde. Schließlich war das Mädchen kaum mehr als ein Kind, gerade mal Mitte zwanzig. Cherise würde schon mit ihr fertig werden. Noch ein größerer Schluck, schon spürte sie die Wärme in ihrem Blut.
Es war fast so weit.
Sie schloss die Augen.
Sie wartete darauf, dass ihre Muskeln sich lockerten.
Hörte eine Bodendiele knarren.
Sie riss die Augen auf. Niemand war im Haus. Und die Katze konnte ein solches Geräusch wohl kaum verursachen, oder? »Patches?«, rief sie und sah sich nach der mehrfarbigen Katze um. »Komm, Kätzchen, Kätzchen … Ach,
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