Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
der Privatschule angemeldet, ihr gezeigt hatte, wie sie ihr Haar zu einem französischen Zopf flechten konnte und so viel mehr. Marla hatte Cissy auf ihre Weise getröstet, wenn sie sich das Knie aufgeschlagen hatte oder an gebrochenem Herzen litt. Trotzdem hatte sich im Lauf der Jahre zwischen ihnen eine Kluft aufgetan. Es begann, als Cissy ein Teenager war, und sie hatte seitdem nie wieder überbrückt werden können. Doch sie hatte immer geglaubt, es würde eine Zeit der Annäherung kommen, falls sie es wünschte … O Gott … Tot? Das erschien ihr unfassbar. »Wo ist unser Kind?«
»Ich weiß es nicht.« Jacks Gesicht war eingefallen, gezeichnet von Angst; tiefe Falten umgaben Augen und Mund. Weder er noch Cissy hatten geschlafen, und Cissy hatte das Gefühl, dass sich die Stunden endlos hinzogen. Sie wusste nicht, was sie ohne Jack getan hätte, ohne Jack, auf den sie sich stützen, dem sie sich anvertrauen, mit dem sie weinen konnte.
Draußen stand neben den FBI-Fahrzeugen auch ein Übertragungswagen, der offensichtlich nicht von der Stelle wich. Die meisten von Cissys Freundinnen hatten angerufen. Gwen und Tracy hatten sie besucht; selbst Heather hatte sich gemeldet, eindeutig verlegen wegen ihrer Affäre mit Donald, die durch die Nachrichten gegangen war. Cissy hatte viel zu viel Angst um Beejay, um sich darüber überhaupt Gedanken zu machen. Es war Heathers Problem, nicht ihres.
Und Sara hatte ihr eine Schüssel Lasagne gebracht. »Von Dino«, gab sie zu und kämpfte mit den Tränen. »Etwas anderes ist mir nicht eingefallen.« Jacks Familie kam sporadisch zu Besuch, und sie erhielten Anrufe von Leuten, mit denen Cissy bei City Wise zusammengearbeitet hatte, und von fast allen Angestellten ihrer Großmutter. Deborah war bestürzt und weinte am Telefon. Elsa und Lars waren persönlich gekommen. Elsa brachte Kuchen und einen Eintopf mit und kämpfte mit den Tränen. Sie sagte, Rosa und Paloma seien ebenfalls erschüttert, und Rosa würde in der Kirche Kerzen für sie anzünden. Alle boten ihre Hilfe an, doch Cissy wäre meistens am liebsten allein gewesen. Sie verbrachte Stunden in Beejays Zimmer, hielt entweder sein Lieblingskuscheltier oder Coco im Arm und wiegte sich in dem Schaukelstuhl, den sie zu Beejays Geburt gekauft hatten.
Jetzt war sie wütend. Des Wartens müde. Erschöpft durch den Schlafmangel und frustriert wegen der ausbleibenden Informationen. Wo zum Teufel war ihr kleiner Junge?
Während Jack duschte, rief sie noch einmal Paterno an und hinterließ ihm eine Nachricht. Verdammt noch mal, wo steckte der Mann? Wo war ihr Kind? Das Haus ging ihr auf die Nerven, das Nichtstun trieb sie an den Rand des Wahnsinns. Sie spürte den Drang, mit der Faust gegen die Wand zu schlagen oder zu schreien oder irgendetwas zu tun, um Beejay zu finden.
Das Telefon klingelte, und sie fuhr zusammen.
Sie kannte das Prozedere. Falls es jemand war, den sie kannte, musste sie ihn so schnell wie möglich abwimmeln, falls die Entführer wegen ihrer Lösegeldforderung anriefen, musste sie versuchen, sie möglichst lange in der Leitung zu behalten. Das FBI zeichnete das Gespräch dann auf.
Vor dem zweiten Klingeln hob sie den Hörer ab.
»Hallo?«, meldete Cissy sich mit heftig klopfendem Herzen.
»Ich habe ihn«, flüsterte eine nicht zu erkennende Stimme in einem Tonfall, der Cissy durch Mark und Bein ging. Sie schnappte nach Luft, ihre schlimmsten Ängste brachen sich Bahn.
»Aber er lebt. Sagen Sie mir, dass er lebt.«
»Ich habe etwas getan, was du stets unterlassen hast, du egoistisches Miststück. Ich habe ihn zu seiner Großmutter gebracht.«
»Wie bitte?« Cissy war wie vor den Kopf geschlagen. »Wer spricht dort? Wo ist mein Kind? Wenn Sie ihm etwas zuleide getan haben, ich schwöre Ihnen, dann finde ich Sie und …«
Klick.
»Moment!«, schrie Cissy verzweifelt, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. »Hallo? Hallo? Wer sind Sie? O Gott, bitte … Bringen Sie ihn zu mir zurück!«, schrie sie ins Telefon, doch die Leitung war tot, die Stille ohrenbetäubend, und die Angst brauste in ihrem Gehirn wie Meeresbrandung in einer Höhle. Gedanken an Beejay, an sein Koboldlächeln, seine winzigen Zähnchen und seine strahlenden Augen schossen ihr durch den Kopf. Tränen strömten über ihre Wangen, sie lehnte sich an die Wand, und die schrecklichen Worte hallten in ihrem Kopf nach.
Ich habe ihn.
»Beejay«, flüsterte sie gebrochen und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
21
Paterno betrachtete das Foto
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