Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
letzten Trumpf verspielt, Freundchen.«
Sie nahm ihm den Becher ab, und er schickte sich an zu quengeln, doch sie lenkte ihn mit seinem Lieblingsspielzeug ab. Ein kleines Gummiauto ohne bewegliche Teile. Es hatte keinerlei Funktion, sah allerdings Jacks Jeep bemerkenswert ähnlich.
»Daddy Auto!«, krähte er fröhlich und konzentrierte sich auf den Gummijeep. Cissy tupfte ihren Pullover mit einem Geschirrtuch ab und säuberte Tisch und Hochstuhl. Sie hob den Blick zu Jack und sah, dass er ein Lächeln unterdrückte. »Sprich’s nicht aus«, warnte sie, deutete mit dem Finger auf ihn und ließ versehentlich den Wischlappen fallen. »Mist.« Sie bückte sich, um ihn aufzuheben, Jack bückte sich ebenfalls, und beinahe wären sie mit den Köpfen aneinandergestoßen. »Ich hab ihn!« Sie wischte die vergossene Milch vom Boden auf und ging dann hinaus auf die vormalige Veranda, die jetzt zu einem Wintergarten umgebaut war. Dort öffnete sie eine Schranktür und warf den Lappen in die Wäscheklappe, von der aus eine Art Rutsche ihn in den Keller beförderte.
Als sie in die Küche zurückkam, hatte Jack zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank genommen. »Die habe ich bei meinem Auszug vergessen«, sagte er und hob die Kronkorken ab. Er reichte Cissy eine Flasche, tippte mit dem Hals seiner Flasche gegen ihre und sagte: »Auf bessere Zeiten.«
Ein Teil von ihr wollte streiten und ihn aus dem Haus werfen, ein anderer Teil jedoch riet ihr, es an diesem Abend gut sein zu lassen. Sie brauchte keinen Streit. Vermutlich zeichneten sich bereits vielerlei Kämpfe am Horizont ab. Widerwillig schenkte sie ihm ein versöhnliches Lächeln.
»Amen«, flüsterte sie. »Auf bessere Zeiten.«
Sie setzte die Flasche an die Lippen, hielt aber inne, als ihr ein scheußlicher Gedanke durch den Kopf schoss.
Wenn dieser Tag schon der beste wäre?
Wenn von jetzt an alles nur noch schlimmer werden würde? Sie trank einen großen Schluck, während ihr Sohn mit seinem Spielzeugauto auf das Tablett seines Hochstuhls hämmerte.
Tja, das wären schöne Aussichten.
4
Paterno spürte, dass sich ein Sodbrennen ankündigte.
Er griff in seine Tasche und fand ein fast leeres Päckchen Tums. Er schob sich ein paar von den kreidigen Tabletten in den Mund, ließ seinen Blick über das Anwesen der Cahills schweifen und sagte sich, dass dies der Preis war, den er für seine Rückkehr in die Stadt zu zahlen hatte. Vor ein paar Jahren hatte er sich beurlauben lassen und eine Zeitlang in Santa Lucia gearbeitet, überzeugt, dass das ruhige Leben ihm guttun würde. Stattdessen hatte er sich jedoch einen Mordfall im Umfeld einer Familie von Feuerwehrleuten eingehandelt, und danach begann ihn das gemächliche Tempo des Kleinstadtlebens zu langweilen. Er hatte es mit Weingutbesichtigungen, Golfspielen und Fliegenfischen versucht, doch das ruhige Leben lag ihm nicht. In Wahrheit fehlten ihm das hektische Treiben in der Stadt, die steilen Hügel, die allgegenwärtige Geschichte, die unterschiedlichen Elemente und Ethnien von San Francisco. Er liebte den Geruch am Kai, die irischen Bars, den Lärm und die Farben von Chinatown, einfach alles. Er fand es immer noch prickelnd, über die Golden Gate Bridge zu fahren, und ließ es sich auch nicht nehmen, gelegentlich ins Cable Car zu steigen. Die Atmosphäre der Stadt an sich gefiel ihm, ihr Geruch. Deshalb war er trotz dieser chaotischen Cahill-Geschichte und den endlosen Überstunden im Kommissariat froh, wieder hier zu sein.
»Hey! Detective! Hier drüben!« Tallulah Jefferson winkte ihn zu sich ins Haus. Sie war gerade dabei, die marmornen Bodenfliesen zu untersuchen, während sich der Gerichtsmediziner die Leiche vornahm, die Lebertemperatur maß und nach Prellungen und Leichenflecken schaute. Jefferson, eine zierliche Schwarze, war mit Herz und Seele Kriminalistin. Sie konnte eine Distanz zwischen Leiche und menschlichem Schicksal herstellen, wie Paterno es bei keinem anderen je erlebt hatte. Sie trug kein Make-up, aber stets irgendeinen Haarreif, um ihre krausen Locken aus dem Gesicht zu halten. Jetzt hockte sie, die gewöhnlich so glatte Stirn nachdenklich gerunzelt, mit Quinn am Fuß der Treppe, während ein Polizist das Geländer nach Fingerabdrücken absuchte und ein Fotograf Aufnahmen vom Unfallort machte.
»Haben Sie etwas gefunden?«, fragte Paterno und kam näher.
»Es war jedenfalls kein Unfall.« Jefferson nickte, als wollte sie sich selbst bestätigen, und blickte dann blinzelnd zum
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