Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
Vorstand gemein zu machen oder Smalltalk mit den Mitgliedern der verschiedenen Stiftungen zu halten, die das Haus finanzierten.
Wie langweilig!
Was sie nicht erwartet hatte, als sie den prächtigen Ballsaal mit den Kristalllüstern, dem gemusterten Teppich und dem unglaublichen Blick auf die Bucht betrat, war Jack Holt mit bereits gelöstem Krawattenknoten, aufgekrempelten Hemdsärmeln und vom ständigen Raufen verwirrtem Haar, dazu der Duft dieses frischen Aftershaves. Einen Drink in der Hand, ein selbstsicheres Lächeln im kantigen Gesicht und ein respektloses Glitzern in den Augen, die bemerkenswert blau leuchteten, wagte er es, ihr im Vorbeigehen zuzuzwinkern – als ob sie beide ein Geheimnis teilten.
Ein Glücksritter, dachte sie und schrieb ihn ab.
Im Lauf des Abends lief sie ihm noch ein paar Mal über den Weg, und jedes Mal entdeckte sie irgendetwas Interessantes an ihm, doch erst, als sein Vater, Jonathan Holt, der ihre Großmutter kannte, sie einander vorstellte, ging er ihr richtig unter die Haut.
Vielleicht wäre sie, wenn sie sich nicht noch in der Genesungsphase nach ihrer komplizierten Beziehung mit Noah Chandler befunden hätte, dem künftigen Anwalt, den sie von der USC kannte, nicht auf Jacks Charme hereingefallen, doch es war nun einmal Tatsache, dass sie auf der Suche nach etwas oder jemand anderem war. Nach jemandem mit Ecken und Kanten, mit dem sie Spaß haben konnte.
Dass Noah sich mit einer Juristin traf, einem klugen, schönen Mädchen aus L. A., die Cissy kannte und die, wie sie ahnte, mehr als freundschaftliches Interesse für ihn aufbrachte, tat ein Übriges. Sie wusste, dass das Mädchen es auf ihn abgesehen hatte, wenngleich Noah, der immer das Unschuldslamm spielte, es abstritt und sogar so weit ging, Cissy Verfolgungswahn vorzuwerfen.
Es ist die Hölle, immer recht zu behalten, dachte Cissy und schnaubte innerlich.
Ein paar Tage nach den Abschlussprüfungen machten sie und Noah endgültig Schluss. Ein paar Tage darauf war Cissy wieder in San Francisco und lernte Jack kennen mit seinem Grübchenlächeln und den sexy Augen. Er tanzte mit ihr, trank mit ihr und riss im Flüsterton Witze über die »Leichen« auf der Party. Letztendlich zog er sie mit seinem Charme völlig in seinen Bann – und ihr das leuchtend rote Kleid aus.
Und nach dieser Nacht war es noch nicht vorbei. Was als heißer One-Night-Stand anfing, explodierte in einer unglaublichen, berauschenden Affäre, die vor einem Altar in einer dieser kleinen Kapellen in Las Vegas vor völlig Fremden als Trauzeugen besiegelt wurde. Folge dieses spontanen Durchbrennens war ein prächtiger Sohn und eine Ehe, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt schien.
Cissy schüttelte die Erinnerungen ab. Welchen Sinn hatte es schon? Sie blickte aus dem Fenster und beobachtete zu den Tönen eines alten Rocksongs aus dem Radio, wie die Scheibenwischer gegen die dicken Regentropfen kämpften. Wie ein glitzerndes Lichtermeer lag die Stadt vor ihnen, und hinter dem leuchtenden Gittermuster erstreckte sich das tintendunkle Wasser der Bucht bis zum jenseitigen Ufer, wo auch wieder Lichter funkelten wie Diamanten.
An diesem Abend hatte sie jedoch kein Auge für die Schönheit dieses Anblicks.
Sie fühlte sich innerlich leer. Betäubt. Sie kannte kein Leben ohne ihre Großmutter mit den Glacéhandschuhen und der eisernen Faust, konnte sich nicht vorstellen, wie es jetzt nach Eugenias Tod aussehen würde. In mancher Hinsicht würde es einfacher sein, bestimmt aber auch weniger festgelegt. Eugenia Cahill war eine Autokratin mit unbeugsamen Regeln gewesen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jack schließlich.
»Nein.«
»Es tut mir leid, Ciss.«
»Ich weiß.« Sie blinzelte die frischen Tränen weg. Mit seinem dicken Fell konnte sie sich abfinden, sogar mit seiner Wut, aber nicht mit seiner Freundlichkeit, nicht, wenn keine Chance zu einer Versöhnung bestand, was für sie nun mal beschlossene Sache war. »Ich muss immer daran denken, dass sie vielleicht nicht gestürzt wäre, wenn ich mich nicht verspätet hätte, wenn ich bei ihr gewesen wäre.«
»Du glaubst, sie ist gestürzt?«
»Ja, natürlich«, sagte sie und leugnete erneut ihre finstersten Ängste.
»Warum ist dann der Kerl von der Mordkommission gekommen?« Jack trommelte nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad und fuhr durch Haight-Ashbury und am Buena Vista Park vorüber. Er trat auf die Bremse, als ein Fußgänger rechtswidrig die Fahrbahn überquerte, und sagte dann:
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