Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
»Paterno und seine Partnerin tauchen nicht einfach so zum Spaß an einem Tatort auf.«
»Es ist wegen meiner Mutter«, erklärte Cissy düster. »Seit ihrem Ausbruch wimmelt es bei uns von Polizisten. Als ob Marla zu mir oder zu Gran gelaufen käme! Das ist schlicht und einfach Blödsinn. Sie ist klug genug zu wissen, dass die Polizei dort auf sie wartet.«
»Du hast also nichts von ihr gehört?«
Jack glaubte, Marla hätte sich bei ihr gemeldet? Sie bedachte ihn mit einem verständnislosen Blick. »Bist du wahnsinnig?«
»Es wäre doch normal, wenn sie dich sehen wollte. Vielleicht sogar James.«
»Sie weiß nicht, wo er sich aufhält«, sagte Cissy und stellte sich ihren Bruder vor, der mittlerweile fast elf war und bei Tante und Onkel in Oregon untergebracht war. »Ich vermute, dass sie schnellstens das Weite sucht. Sich nach Mexiko absetzt. Oder nach Kanada.«
»Dazu braucht sie Papiere. Ausweise.«
Cissys Blick verriet, was sie von seiner Naivität hielt. »Sie ist aus dem Gefängnis ausgebrochen. Ich schätze, sie findet eine Möglichkeit, der Polizei aus dem Weg zu gehen und sich gefälschte Papiere zu beschaffen. Wenn sie es vor ihrer Verhaftung nicht konnte, dann hat sie es jetzt bestimmt gelernt. Ein paar von ihren ›Freundinnen‹ im Knast kennen sicher draußen irgendwelche Leute, die ihr jedes gewünschte Dokument besorgen.«
»Ohne Hilfe und ohne Geld kriegt sie keine Papiere.«
»Tja, von mir bekommt sie keines von beidem«, versicherte Cissy mit Nachdruck. »Und ich glaube, die Polizei ist der Ansicht, dass sie mit einem Komplizen zusammenarbeitet.«
»Wer soll das sein?«
»Das ist die Millionen-Dollar-Frage«, antwortete sie. Diese Frage stellte sie selbst sich immer wieder, seit sie von Marlas Ausbruch wusste. »Ich kann mir nicht vorstellen, wer ihr freiwillig helfen würde.«
»Sie wurde nicht von allen gehasst.«
Das mag stimmen, dachte sie, als sie die letzte Abzweigung vor ihrer Straße nahmen. Ihre Mutter hatte immer Horden von Menschen angezogen. Nicht nur schöne, auch reiche. Aber ob die ihr bei der Flucht geholfen hatten? Das passte nicht unbedingt zu den Personen, mit denen sie shoppen oder zum Tennis gegangen war.
Jack lenkte den Jeep in die Zufahrt vor der Garage, und es war eine gewisse Erleichterung für Cissy, endlich zu Hause zu sein. Waren wirklich erst knapp drei Stunden vergangen, seit sie sich ahnungslos auf den Weg zu ihrer Großmutter gemacht hatte? In dieser kurzen Zeitspanne hatte sich ihr Leben unwiderruflich verändert. Sie stieg aus dem Geländewagen und raffte ihre Sachen zusammen, während Jack Beejay ins Haus trug und ihn in seinen Hochstuhl setzte.
Alles wirkte so normal.
Die kleine Kernfamilie.
Doch das war nicht so. Sie durfte sich nicht dazu verführen lassen zu denken, dass zwischen ihr und ihrem Mann noch das alte Vertrauen herrschte, das sie sich bei der Eheschließung gelobt hatten. Wenn es auch völlig normal wirkte, dass Jack in ihrer Küche stand, durfte sie doch nicht vergessen, dass jetzt alles anders war. Für immer. Es versetzte ihr einen kleinen Stich im Herzen, den sie jedoch ignorierte.
Bevor ihr Mann anfing, sich bei ihr allzu heimisch zu fühlen, sagte Cissy: »Ich denke, ich komme jetzt allein zurecht. Danke.«
Er sog die Mundwinkel ein. »Bitte nicht, Ciss«, warnte er. »Was soll ich nicht?«
»In die Rolle der zickigen Ex-Frau verfallen. Du weißt schon, stets die Stacheln aufgestellt und dazu fähig, mit allem allein fertig zu werden, ganz gleich, welches Trauma sie gerade durchstehen muss.«
»Aber ich kann es. Mit allem allein fertig werden.«
»Auch mit dem Mord an deiner Großmutter?«
»Sei nicht so eklig.«
Er senkte den Kopf, nahm die Rüge hin. »Ich will nur den Tatsachen ins Gesicht sehen.«
Sie warf einen Blick auf ihren Sohn, und ihre Stimme wurde weicher. »Lass uns jetzt nicht darüber reden, okay? Die kleinen Ohren hören eine ganze Menge, Jack. Vielleicht solltest du einfach nach Hause fahren.«
»Hier bin ich zu Hause.«
»Nicht mehr. Und ich bin müde. Es war eine harte Woche.« Sie legte ein Stück Pizza auf das Tablett von Beejays Hochstuhl und goss etwas Milch in seinen Trinklernbecher. »Sei schön vorsichtig damit«, ermahnte sie ihren Sohn, und er, seinem Vater so ähnlich, grinste verschmitzt, fasste den Becher am Griff und schwenkte ihn hin und her, so dass Milch an die Wand, auf den Boden, aufs Tablett und auf Cissy spritzte.
Wunderbar.
»Das hatte ich befürchtet. Du hast gerade deinen
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