Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
doch Cissy war oft genug hier, um Diedre, das Mädchen mit dem großzügigen Lächeln und dem schlagfertigen Witz mit Namen zu kennen. Sie war schlank, blond und freundlich, während die Frau, mit der sie zusammenarbeitete, Rachelle, etwas stiller, nicht ganz so aufgeschlossen war und ständig die Haarfarbe wechselte. Heute wies ihr Haar einen satten Mahagonischimmer mit tiefvioletten Strähnchen auf. Dezent für Rachelles Begriffe. Beide Serviererinnen waren attraktiv und lustig genug, um die Stammkunden immer wieder anzulocken.
Rachelle sah sie in der Schlange stehen und sagte: »Ich habe von der Sache mit deiner Großmutter gehört.« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Beileid.«
»Was?«, fragte Diedre und nahm Cissys Kreditkarte entgegen. »Oh … Moment.« Sie sah sich nach Rachelle um. »Es war in den Nachrichten, nicht wahr? Die alte Dame in dem Herrenhaus. Tot aufgefunden.«
Von mir, dachte Cissy. »Ja«, sagte sie ein wenig peinlich berührt, denn zwei andere Kundinnen standen an und begutachteten die Gebäckangebote im Schaukasten, während sie darauf warteten, ihre Bestellung aufgeben zu können.
»Und dann die Geschichte mit deiner Mutter«, fügte Rachelle hinzu. »Das ist bestimmt nicht leicht für dich.«
Cissy wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Ja, diese Frauen wussten einiges über sie; sie hatte ihnen ganz unbefangen manches erzählt, wenn sie am frühen Nachmittag praktisch mit ihnen allein war und kaum Kundschaft im Café war. Augenscheinlich hätte sie besser den Mund halten sollen. Sie spürte, dass sie blass wurde, brachte jedoch ein Lächeln zustande. »Ihr könnt es euch gar nicht vorstellen.«
»Was?«, fragte Diedre erneut, und Cissy stöhnte innerlich auf.
Rachelle bemerkte Cissys Unbehagen. »Entschuldige.« Sie formte das Wort lautlos mit den Lippen, flüsterte Diedre etwas zu und wandte sich dann an die nächste Kundin, eine Joggerin, der noch immer die Schweißtropfen übers Gesicht perlten. Zum Glück hatte die Frau, die vor Anstrengung keuchte, nichts von dem Gespräch mitbekommen. Nur Selma, eine Stammkundin, die in ihrem Lieblingslesesessel an einem Eckfenster saß, schien zuzuhören. Sie trank einen großen Schluck aus ihrer Tasse und steckte die Nase dann wieder in ihr Taschenbuch.
Diedre reichte Cissy ihren Mokka, und Rachelle schaltete die Kaffeemühle ein. Ein hartes Surren erfüllte den Raum. Mit gesenkter Stimme sagte Diedre: »Sieh mal, es tut mir leid. Ich wusste nichts von deiner Mutter, und glaub mir, ich verstehe dich. Meine Familie« – sie verdrehte die Augen – »ist das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst.«
Wohl kaum, dachte Cissy, unterschrieb die Quittung und verstaute sie mitsamt der Kreditkarte in ihrer Brieftasche. Sie beschloss, nicht länger zu bleiben, und wandte sich zum Gehen. Mit der Schulter stieß sie die schwere Tür auf und trat hinaus in den kühlen Spätvormittag, wobei sie um ein Haar einen Mann in langem, dunklem Mantel mit frustrierter, verärgerter Miene angerempelt hätte. Er wich ihr aus, seine Aktentasche schlug gegen ihren Schenkel. Sie zuckte zurück, der Deckel löste sich von ihrem Becher, und heiße Schokolade, Kaffee und Schlagsahne ergossen sich über ihre Jacke.
»Hey!«, rief sie, doch der Mann drehte sich nicht einmal um, sondern marschierte weiter, als wäre sein Ziel so wichtig, dass nicht einmal Zeit für eine kurze Entschuldigung blieb.
»Verdammt noch mal«, knurrte Cissy. Sie hob den schmutzigen Deckel auf und ging zurück ins Café.
»Was für ein Scheißkerl«, sagte Rachelle. »Ich habe gesehen, was passiert ist.« Sie holte einen Stapel Servietten unter dem Tresen hervor und reichte ihn Cissy.
»Schon gut. Ich brauche nur einen neuen Deckel.«
»Ich kann dir den Mokka wieder auffüllen«, bot Rachelle an. Die Schlange vor der Servicetheke wurde länger und länger. Diedre nahm die Bestellungen entgegen.
»Nicht nötig«, sagte Cissy, wischte sich die Hände ab und drückte den neuen Deckel auf den Becher. Sie trank zunächst noch einen Schluck von dem heißen Mokka und trat dann, dieses Mal etwas vorsichtiger, auf die Straße hinaus.
Der Weg zu ihrem Wagen brachte keine weiteren Zwischenfälle, doch als Cissy bei ihrem Acura angelangt war, sah sie, dass die Parkuhr abgelaufen war. Nach allem, was sie heute schon hinter sich hatte, hätte ein Strafzettel ihr jetzt den Rest gegeben.
Aber sie hatte Glück. Der Kontrolleur war nicht vorbeigekommen. Doch als sie aus der engen Parklücke
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