Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
sie auf den Aufzug warteten. Schweigend fuhren sie in der alten Kabine hinauf, die knarrend aufstieg und dann mit einem leichten Ruck zum Stehen kam.
Cissy nahm all ihre Kraft zusammen und betrat erneut den Wohnbereich.
Wieder spürte sie die Leere des Hauses.
Die Leblosigkeit.
Es war fast wie in einem Grab.
Dann standen sie im Foyer.
Paloma schlug die Hand vor den Mund. Sie schluckte krampfhaft und wurde blass, während ihr Blick vom Treppenflur zu den Stufen und dann zurück zu dem dunklen, beinahe violetten Fleck auf dem Boden wanderte. »Das ist ja grauenhaft.«
Cissy konnte ihr nur beipflichten. Fünf Minuten später traf auch Rosa ein. Die mollige kleine Frau begann sofort zu schluchzen, bekreuzigte sich wieder und wieder und redete in stakkatoartigem Spanisch auf Paloma ein. Cissy verstand ein paar Bruchstücke, hätte aber ohnehin keinen Dolmetscher gebraucht, um zu wissen, dass Rosa bestürzt und traurig war.
»Dios! O Dios!«, schluchzte sie in ihr Taschentuch. Ihr Gesicht war gerötet, ihre dunklen Augen nass und kummervoll. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, als könnte ihre vehemente Abwehr das Geschehene ändern. Dann, als sie sich beinahe wieder unter Kontrolle hatte, fiel ihr Blick auf den Fleck am Boden, und sie jammerte noch lauter.
Paloma war gefasster, sprach leise auf sie ein und nahm sie in die Arme, doch die Frau war untröstlich.
»Coco? Wo ist mein kleiner Coco?«, fragte Rosa unter heftigem Schluckauf.
»Bei mir.«
»Gott sei Dank. Ich dachte schon … Ach, ist doch egal, was ich dachte«, sagte sie mit ihrem starken Akzent. »Was machen wir jetzt?«
»Wir wollen sauber machen«, schlug Cissy mit frischer Entschlusskraft vor. Sie alle konnten trauern, konnten, wie Cissy selbst, sich irgendwie ein wenig schuldig fühlen, weil sie lebten, während die Großmutter tot war, aber das Leben musste weitergehen. »Schaffen Sie das?«
» Sí … nein … ja, ja, das schaffe ich schon«, sagte Rosa und nickte energisch. »Miss Eugenia, sie würde diesen Schmutz nicht dulden.« Rosas Nasenflügel blähten sich in ihrem tränenüberströmten Gesicht, als sie die Schlammspuren auf dem Boden und natürlich das Blut und überall das schwarze Pulver sah. »Hier sieht es aus wie im Schweinestall!« Erneut verfiel sie ins Spanische, aber diesmal war sie eher wütend als traurig. »Sehen Sie sich das an«, sagte sie und deutete auf einen versehentlich umgestoßenen Blumenkübel. »Und das da!« Der Teppich vor der Treppe wies Schmutzspuren auf. »Mein Gott!«
Mit einem neuen Ziel ausgestattet, machte Rosa sich an die wie eine Therapie wirkende Arbeit, das Haus wieder in Ordnung zu bringen. Auch Paloma half beim Saubermachen. Cissy nahm alle Kraft zusammen, um mit Lars, Elsa und Deborah zu reden, die nacheinander eintrafen. Alle waren finster gestimmt, doch alle packten mit an. Auch Deborah kam und bot ihre Hilfe an, obwohl Cissy ihr praktisch schon gekündigt hatte.
Cissy war ihnen allen dankbar. Sie half, wo sie konnte, als Elsa sich daranmachte, in der Küche Ordnung zu schaffen, Lebensmittel wegwarf, die nicht mehr verzehrt werden würden, die altmodischen Armaturen, die Arbeitsflächen und Geräte reinigte und polierte. Lars kümmerte sich um den Wagen in der Garage, und Deborah nahm sich Eugenias Terminkalender vor, sagte Verabredungen ab, erklärte knapp, was passiert war, und verwies Eugenias engste Freundinnen an Cissy. Sie erklärte sich bereit, Cissy per E-Mail alle wichtigen Telefonnummern und Kontakte zu schicken, wie die der Kontenbevollmächtigten, Anwälte und natürlich die des Beerdigungsinstituts, bei dem Eugenia schon vor Jahren ihr Begräbnis bestellt und im Voraus bezahlt hatte. Sie versprach, Cissy bei den Vorbereitungen zu helfen und die Todesanzeige aufzugeben.
Während die Angestellten ihrer Arbeit nachgingen, konnte Cissy, erleichtert darüber, dass das Haus und wenigstens einige weitere Angelegenheiten versorgt waren, endlich nach Hause fahren.
Sie war gerade von der Zufahrt auf die steile, nebelverhangene Straße abgebogen, als ihr Handy klingelte. Eine Hand am Steuer, kramte sie das Gerät aus ihrer Handtasche und klappte es auf. »Hallo?«
»Cissy, hi. Hier ist Nick.«
»Nick.« Die Stimme ihres Onkels erreichte sie wie aus einer fernen Vergangenheit.
»Wir haben gehört, was Mutter zugestoßen ist«, sagte er und gab dann die üblichen Floskeln von sich: »Wir machen uns Sorgen um dich, beim Begräbnis sind wir für dich da, falls du etwas brauchst, ruf
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