Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
ging.
Jack schien sie nicht zu bemerken, nicht einmal, als sie innehielt, um sich über die Schulter hinweg nach ihm umzuschauen. Statt seines Blicks begegnete sie Cissys. Sie ließ sich nicht einmal zu einem Lächeln, Winken oder Abschiedsgruß herab, sondern öffnete einfach die Tür und ging nach draußen.
»Gut, dass sie weg ist«, sagte Cissy leise, ohne zu bemerken, dass Sara neben sie getreten war.
»Ich kann es nicht fassen, dass sie den Mut hatte, hier aufzukreuzen. Was sollte das?« Sara nippte an ihrem Drink und blickte zur Tür. »Weißt du, ich habe diese Qual zwei Mal durchgemacht. Meine beiden Ex-Männer konnten die Finger nicht von anderen Frauen lassen. Aber keine von diesen Frauen hätte es je gewagt, in meinem Haus aufzutauchen.« Noch einmal sah sie auf die geschlossene Tür. »Und das ist gut so. Hätten sie es getan, dann hätte ich sie umgebracht.«
11
Soll ich raten? Marla hat sich auf dem Begräbnis nicht blicken lassen«, sagte Quinn, als Paterno nach Eugenias Stunden dauerndem Begräbnis mit Gottesdienst am offenen Grab aufs Revier zurückkehrte.
»Sieht nicht so aus«, knurrte Paterno. Zwei Tage hatte er mit der Überwachung der Begräbnisse zugebracht – gestern Rory Amhursts kleine intime Trauerfeier im engsten Familienkreis und heute die größere, aufwendigere Veranstaltung in der Presbyterianer-Kirche, der Eugenia angehört hatte, gefolgt von der Beerdigung auf dem Friedhof. Er hatte an allen Feierlichkeiten teilgenommen. Natürlich hatte er im Grunde seines Herzens nicht damit gerechnet, dass Marla sich blicken ließe, doch bei dieser Frau konnte man sich nie sicher sein. Er wollte das Risiko nicht eingehen, dass sie aufkreuzte und er nicht zur Stelle war, um sie festzunehmen. Er suchte die Menschenmassen ab, suchte nach einem Gesicht, das ihr oder dem Phantombild von Mary Smith ähnlich sah. Der Polizeizeichner hatte sämtliche Personen in der Harborside Residenz für betreutes Wohnen verhört und eine Phantomzeichnung sowie ein Computerbild angefertigt, doch keine Teilnehmerin an Eugenias und Rorys Feiern ähnelte der molligen Frau in dem blumenbedruckten Kleid auch nur aufs entfernteste. Und auch keine andere Mary Smith aus der betreffenden Kirchengemeinde hatte sich blicken lassen.
Ein Alias.
Eine Tarnung.
Aber es konnte nicht Marla gewesen sein.
Paterno ging zu seinem Schreibtisch und bemühte sich, seine kalten Füße zu vergessen, die er sich beim langen Stehen im Regen geholt hatte. Er schüttelte das Wasser von seinem Mantel, griff nach seinem Kaffeebecher und versuchte, Marla Cahills Flucht mit den Morden in Verbindung zu bringen. Wer war ihr Komplize? War es eine von den Personen, die er auf den Begräbnissen gesehen hatte?
Der Autopsiebericht zu Eugenia Cahill bestätigte, dass sie Valium im Blut hatte, doch sie bekam das Mittel auf Rezept.
Auch in Rory Amhursts Blut wurde Valium gefunden, doch ihm war es nicht verschrieben worden. Spuren von Valium fanden sich in der Limobüchse in seinem Zimmer, einer Limobüchse, die keinerlei Fingerabdrücke außer seinen eigenen aufwies. Der Gerichtsmediziner gab als Todesursache Ersticken als Folge eines anaphylaktischen Schocks an, einer Reaktion auf etwas, was er verzehrt hatte. Die Untersuchung seines Mageninhalts erbrachte mit irgendwelchen Meeresfrüchten versetzte Schokolade.
Paternos schwacher Magen regte sich beim bloßen Gedanken daran. Auf der Suche nach den Magentabletten griff er in seine Schublade und runzelte die Stirn. Die zwei Morde wiesen Unterschiede auf; die alte Dame war in den Tod gestürzt, der behinderte Mann vergiftet worden. Doch in beiden Fällen hatte der Mörder gewusst, wo sie sich aufhielten, war dreist zur Tat geschritten, hatte den Mord vorab geplant. Warum hat er Eugenia nicht vergiftet?, überlegte er, hob seinen Bleistift auf und tippte mit dem Radiergummiende auf die Schreibtischplatte. Weil der Mörder rasch ins Haus und wieder hinauskommen musste und nicht wusste, ob sie irgendwelche lebensgefährlichen Allergien hatte. Daher musste die Person, die Rory Amhurst um die Ecke gebracht hatte, ihn sehr gut gekannt haben. Entweder eine Krankenschwester oder ein Familienmitglied. Und es musste jemand sein, den niemand in der Residenz erkannte.
Er trank einen Schluck Kaffee.
Es musste eine Verbindung zwischen Marla und dem Täter geben.
Aber wer war es?
Wer zum Teufel stand ihr so nahe, dass er ihren Ausbruch bewerkstelligte, dass er ihr half, systematisch ihre Verwandten umzubringen?
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