Deadline - Toedliche Wahrheit
kapierte. Ich verstummte, auf meinen Armen bildete sich Gänsehaut. Hilflos schaute ich zu Mahir. Er erwiderte abwartend meinen Blick. Sie alle warteten, und sie alle wussten, dass ich darauf kommen würde, wenn sie mir einen Moment zum Nachdenken ließen. Sie wussten, dass George die Antworten kannte, und George … tja, George war in mir.
»Sie existieren, aber nicht von Natur aus«, sagte ich.
»Genau.« Mahir nahm eine weitere Mappe und teilte Blätter aus. »Das hier sind Analysen der Seuchenschutzbehörde zur Struktur von Kellis-Amberlee. Sie wurden auf legalem Wege beschafft und sind zur allgemeinen Nutzung freigegeben. Seit Jahren versuchen die Leute herauszufinden, wie etwas derart Komplexes und Stabiles mutieren kann, ohne dabei einen Stamm hervorzubringen, der sich deutlich anders als seine Vorläufer verhält. Die Antwort ist einfach: Das kann es nicht, und das hat es auch nicht getan. Jeder Stamm, mit Ausnahme des ursprünglichen, wurde in einem Labor entwickelt und freigesetzt, nachdem man zuvor gezielt Personen mit Reservoirkrankheiten – man kann es nicht anders sagen – gekeult hat. Es ist ein beschissenes Experiment, ein weltweites Experiment, und wir dürfen alle mitmachen.«
Totenstille senkte sich über den Tisch. Keiner von uns wusste genug, um Mahirs Schlussfolgerungen infrage zu stellen, vielleicht mit Ausnahme von Kelly, und sie sagte kein Wort, sondern saß nur da und starrte auf die auf dem Tisch ausgebreiteten Blätter, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Das war es wohl, was mir am deutlichsten machte, dass Mahirs recht hatte. Nach all den Jahren, die sie getreu für die Seuchenschutzbehörde gearbeitet hatte, hätte Kelly jeden denkbaren Einwand vorgebracht.
Es war Becks, die schließlich das Schweigen brach, indem sie fragte: »Und was machen wir jetzt?«
»Jetzt?« Ich stand auf und knallte die Hände flach auf den Tisch. »Wir packen. Morgen früh machen wir uns auf den Weg. Alle Beiträge werden von unterwegs veröffentlicht – ich will nicht, dass wir hier wie die Schießbudenfiguren rumsitzen, wenn der Ärger losgeht.«
»Wo geht es hin?«, fragte Alaric.
»An den einzigen Ort, an dem wir herausfinden können, wie es weitergeht, und an dem wir mit einem Einbruchsversuch zumindest eine Chance haben.« Ich warf Kelly einen herausfordernden Blick zu. Sie schaute nicht weg. Stattdessen nickte sie, und ich sah, wie sich in ihrem Gesicht die Erkenntnis breitmachte.
»Wir fahren nach Memphis«, sagte sie.
Ich wollte Sportreporter werden. Ich wollte über Sport schreiben. Klingt gut, oder? »Mahir Gowda, Sportreporter.« Ich hätte mir Kricketspiele, Hindernisläufe und Amateurrennen angesehen, pointierte kleine Artikel darüber geschrieben und eimerweise Geld gescheffelt, mir irgendwo in der Londoner Vorstadt ein riesiges Haus gekauft und eine so große Familie gegründet, dass ich mit meinen Kindern ein eigene Kricketmannschaft hätte aufziehen können.
Und dann kam Georgia Carolyn Mason. Sie wusste, dass ich niemals glücklich damit werden würde, über Wettkämpfe und über das Leben der Profis zu berichten. »Die Nachrichten liegen dir im Blut.« Das hat sie zu mir gesagt, und sie hat nicht lockergelassen, bis ich einwilligte, es zumindest mal zu versuchen. Als sie sich ein Jahr später selbstständig machte, hat sie mich angeworben. Sie hatte viel zu oft recht. So auch, was mich und meine Berufung betraf.
Ich wünschte, sie hätte sich geirrt.
Aus Fisch und Clips , dem Blog von Mahir Gowda, 21. Juni 2041.
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Von Weed in Kalifornien bis nach Memphis in Tennessee sind es etwas über dreitausend Kilometer. Vor dem Erwachen wären das etwa zweieinhalb Tage Fahrt gewesen, nervige Verkehrsstaus und viele Pausen inbegriffen. Heutzutage sind Entfernungen kein so großes Hindernis mehr, da die Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Highway 120 bis 150 Stundenkilometer beträgt und der durchschnittliche Verkehrsstau aus zwei Autos besteht, die sich auf demselben Abschnitt von fünf Kilometern Länge befinden.
Unser Problem war banaler: Wir mussten es dorthin schaffen, ohne dass man uns umbrachte. Reisen über mehr als eine Staatsgrenze müssen bei der Straßenwacht gemeldet werden, damit sie jede Bewegung nachverfolgen kann. Jedes Mal, wenn man tankt oder in ein Motel eincheckt, wird man registriert. Es ist ein ausgeklügeltes System. George hat einmal einen Artikel darüber geschrieben, den ich nicht völlig langweilig fand. Das will was heißen. Das Problem
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