Deadline - Toedliche Wahrheit
Jahr, als die halbe Belegschaft ums Leben gekommen war, war Dave in Alaska gewesen. Wahrscheinlich war er in der überfrorenen, zombieverseuchten Tundra sicherer gewesen als wir in Sacramento. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrte. Ich stutzte. »Moment mal, willst du damit sagen, dass niemand weiß, was die Reservoirkrankheiten eigentlich machen? «
»Es gibt Theorien.« Kelly klang mit einem Mal ausweichend. Ich musterte sie. Ihre Miene war maskenhaft: Hinter ihren geschlossenen Lidern mochte sie sich alles Mögliche denken.
Wenn sie diese Nummer abziehen will, sollte sie sich einfach eine Sonnenbrille holen , sagte George.
Ich sagte nichts. Ich wartete bloß.
Kelly deutete eine Kopfschütteln an und fuhr fort: »Ich habe das vergangene Jahr mit der Erforschung von Reservoirkrankheiten verbracht. Die Seuchenschutzbehörde dokumentiert jeden Fall von einer mit KA verwandten Krankheit, aber niemand hat mit diesen Daten bislang etwas angefangen. Also dachte ich mir, ich nehme sie mir mal vor.«
»He, das stimmt nicht«, wandte ich ein. »George hat an allen möglichen Studien teilgenommen. Es gab immer wieder irgendwelche Spezialistenarschlöcher, die ihr ins Auge piksen wollten, um zu sehen, was passiert.«
»Es gibt Studien zu den jeweils individuellen Reservoirleiden, aber niemand hat sich das Syndrom jemals als Ganzes angesehen.« Kelly ließ sich noch tiefer ins Sofa sinken. »Wie kommt es dazu? Warum nur in definierten Körperregionen? Wie wird das Virus eingedämmt? Laut allem, was wir wissen, sollte bei jemandem mit einer Reservoirkrankheit eigentlich die Krankheit im ganzen Körper ausbrechen, aber nichts Derartiges geschieht. Die Leute machen bis zu ihrem Tod einfach ganz normal weiter. Es ergibt keinen Sinn.«
»Und dazu hast du geforscht?«
Ein kleines Nicken. »M-hm. Und da habe ich es entdeckt.«
»Was entdeckt?«, fragte Alaric.
»Schaut euch die Statistiken an.« Kelly seufzte und wandte das Gesicht zur Decke. »In der ersten Spalte steht die Bevölkerungszahl. In der zweiten steht der prozentuale Bevölkerungsanteil mit einer bekannten Reservoirkrankheit – in diesem Fall ist der genaue Typ nicht von Bedeutung.«
Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich mir die Zahlen an. Die in der dritten Spalte hatte ich schon einmal irgendwo gesehen. Ich wagte eine Vermutung: »In Spalte drei stehen die Kellis-Todesfälle des letzten Jahres?«
»Ja.«
»Und was steht in der vierten Spalte?«
Becks meldete sich zu Wort, und ihre Stimme war belegt von der schrecklichen Wahrheit, die ihr dämmerte. Sie hatte es sich ein bisschen schneller zusammengereimt als der Rest von uns, und sie schien nicht besonders glücklich über ihre Erkenntnis zu sein. »Oh mein Gott! Das ist … das ist die Anzahl der Toten, die an Reservoirkrankheiten gelitten haben, nicht wahr?«
Kelly nickte.
Ich betrachtete die Zahlen. Mir erschienen sie bedeutungslos. Ich wollte gerade den Mund aufmachen, als George sehr leise sagte: Schau dir noch mal Spalte zwei an, Shaun!
Ich tat es. Und begriff.
»Das kann nicht stimmen«, sagte ich, und mit einem Mal wurde mir kalt. Reservoirkrankheiten erhöhen nicht das Risiko einer Virenvermehrung; genau genommen reduzieren sie es sogar, da die meisten Leute, die an einer latenten Form von Kellis-Amberlee leiden, dazu neigen, sich noch paranoider vor einer Infektion zu schützen als der Rest der Bevölkerung. Leute wie George, die ins Feld rausgehen, oder Emily Ryman, die selbst nach dem Ausbruch ihres retinalen Kellis-Amberlee weiter Pferde gezüchtet hat, sind die Ausnahme und nicht die Regel.
Kelly seufzte und öffnete zum ersten Mal seit Beginn ihres Vortrags die Augen. »Das dachte ich auch«, erklärte sie und schaute mich dabei direkt an. »Ich habe die Zahlen immer wieder überprüft. Ich habe sechsmal einen Praktikanten losgeschickt, um mir die Zensusdaten zu holen. Es stimmt alles.«
»Aber … «
»Weniger als elf Prozent der Bevölkerung leiden an Reservoirkrankheiten. Und im letzten Jahr traten unter diesen elf Prozent achtunddreißig Prozent aller Todesfälle im Zusammenhang mit KA auf.« Kellys Tonfall war grimmig. Mit einem Mal ergab es eine Menge Sinn, dass sie so erschöpft war. »Statistisch gesprochen ist das unmöglich.«
»Vielleicht ist es ein Ausreißer«, meinte Dave. »Statistische Anomalien treten doch manchmal auf, oder?«
Becks schnaubte. »Klar, und respektable Ärzte von der Seuchenschutzbehörde helfen ihren Mitarbeitern wegen solcher statistischer
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