Deadlock
welche Weise sie erfahren konnte, wie viel Phillips verdiente, ohne sich großen Ärger einzuhandeln. Aber mir fiel nichts ein. »Wie oft bekommen Sie Geld?«
»Alle vierzehn Tage. Die nächste Zahlung ist diesen Freitag fällig.«
»Ist es Ihnen möglich, sich abends seinen Papierkorb vorzunehmen? Viele Leute werfen ihre Abrechnungszettel einfach weg.«
»Ich kann's versuchen«, meinte sie unschlüssig.
»Prima!«, sagte ich herzlich. »Und noch eins: Würden Sie für mich bei der PoleStar-Linie anrufen und fragen, welche Häfen die >Lucella Wiesen in den nächsten Tagen anläuft?«
Höchst widerstrebend merkte sie es sich vor und versprach, sich wieder zu melden.
Bouchard war nicht zu Hause; ich hinterließ eine Nachricht bei seiner Frau. Ruhelos lief ich in der Wohnung hin und her und wartete auf Janets Anruf. Zum Zeitvertreib machte ich schließlich ein paar Stimmübungen. Meine Mutter war Sängerin gewesen; sie hatte meine musikalische Ausbildung übernommen in der Hoffnung, dass ich die Opernkarriere machen würde, um die sie durch Mussolini und Hitler gebracht worden war. Natürlich kam alles ganz anders, aber ich kann die bekanntesten Arien aus »Iphigenie auf Tauris« singen, der einzigen Oper, in der meine Mutter aufgetreten ist, bevor sie Italien 1938 verließ. Als ich wie eine asthmatische Heimorgel krächzend in der Mitte von Iphigenies Auftrittsarie im zweiten Akt angelangt war, rief Janet an. Die »Lucella« sollte am Donnerstag und Freitag in Thunder Bay sein. Heute löschten sie in Detroit eine Ladung Kohle, und am Abend wollten sie den Hafen verlassen.
»Übrigens kann ich ab jetzt nichts mehr für Sie tun, Miss Warshawski. Im Augenblick bin ich in einer Telefonzelle. Lois hat wegen meines Anrufs bei der Pole-Star-Linie großes Tamtam gemacht. Ich sitze seit neuestem wieder im Schreibzimmer, und da entgeht ihr nichts.«
»Verstehe. Sie haben mir sehr geholfen, Janet, ich bin Ihnen wirklich dankbar.« Ich zögerte. »Könnten Sie mir trotzdem einen letzten Gefallen erweisen und mich von zu Hause aus anrufen, wenn Ihnen irgendetwas verdächtig vorkommt? Man weiß ja nie ... «
Sie versprach es, aber ihre Stimme klang nicht begeistert. Ich wandte mich meinen Reisevorbereitungen zu. Irgendwo unter den Hunderten von Büchern in Lottys Wohnung musste sich doch auch ein Atlas befinden. Systematisch durchsuchte ich alle Bücherregale, fand aber nur eine Karte des Vorkriegsösterreich, einen Plan der Londoner U-Bahn von 1941 sowie einen alten Atlas der Vereinigten Staaten; nirgends war am Ufer der Großen Seen ein Ort namens Thunder Bay verzeichnet. Fehlanzeige!
Schließlich rief ich ein Reisebüro an, um mich nach Flügen von Chicago nach Thunder Bay zu erkundigen. Die Air Canada flog Thunder Bay einmal täglich an, und zwar um 18 Uhr 20 ab Toronto; die Maschine nach Toronto ging um Viertel nach drei.
»Wie weit ist das eigentlich?«, fragte ich. Immerhin handelte es sich um sieben Flugstunden. Der Angestellte konnte es mir nicht sagen. Und wo lag Thunder Bay? In Ontario. Mehr wusste er auch nicht, aber er war bereit, mir für morgen einen Flug zu reservieren; die Tickets wollte ich am Flughafen abholen. Zweihundertfünfzehn Dollar für sieben Stunden Flug -dafür müsste ich eher noch etwas dazubekommen!
Den Rest des Tages verbrachte ich in einem Whirlpool des Irving Park Y, dem Fitnesscenter der kleinen Leute. Für einen Jahresbeitrag von neunzig Dollar kann ich das Schwimmbad und die Nautilushalle benutzen. Außer mir gehen nur noch ambitionierte junge Leute hin, die mühevoll ihren Bizeps trainieren oder Basketball spielen. Tennisplätze, Bars, Diskorummel und pinkfarbene gestylte Trainingsgewänder sucht man dort vergeblich.
15
Im kühlen Norden
Der Angestellte am Schalter der Air Canada wusste wenigstens, dass Thunder Bay am Oberen See liegt und Kanadas westlichster Hafen ist. Aber bei meiner Frage, weshalb der Ort auf meiner Karte nicht verzeichnet sei, musste er passen. Erst auf dem Flug nach Toronto erklärte mir eine der Stewardessen, dass die Stadt ursprünglich Port Arthur geheißen hatte und der Name vor ungefähr zehn Jahren geändert worden war. Ich nahm mir vor, Lotty als Dank für ihre Gastfreundschaft einen modernen Atlas zu kaufen.
Meine kleine Segeltuchtasche gab ich als Fluggepäck auf, da ich die Smith & Wesson darin verstaut hatte - zerlegt, entsprechend den Bestimmungen des Waffengesetzes. Ich hatte nur Jeans, Blusen, einen warmen Pullover und ein bisschen
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