Deadwood - Stadt der Särge
Helen. Ich erkenne sie an ihrem Gang.« Ich drehte mich um.
Susan Crane war völlig aus dem Häuschen. Sie mußte von Jane Collins gehalten werden, weil sie sich losreißen wollte, um auf ihre vermißte Freundin zuzulaufen.
Helen kümmerte sich nicht um die Worte. Sie tat so, als hätte sie keinen von uns gesehen. Susan wurde auch nicht mehr angesprochen, Helen ging ihren Weg und hatte die Straße in relativ kurzer Zeit überquert. Ich war ebenfalls nicht weitergegangen, hatte mir jedoch den Punkt gemerkt, an dem Helen verschwunden war. Auf der linken Seite der Main Street hatte ihr Ziel gelegen.
»Ich hole sie zurück!«
»John, Susan will mit!«
»Nein!« Die Antwort gab ich schon im Laufen, hörte dann einen Aufschrei, drehte mich um und sah, daß Susan sich losgerissen hatte.
Jane Collins lag rücklings auf dem Boden. Sie hatte vergessen, daß Susan Judo und auch sehr schnell laufen konnte, denn sie huschte mit gewaltigen Sätzen über den hölzernen Gehsteig, wobei jeder Schritt ein hohles Echo auf den Planken hinterließ. Sie hatte mich bereits überholt und rief den Namen ihrer Freundin.
»Helen!« Susan Cranes Schreie zerrissen die Stille der Stadt. Sie waren auch für mich der Wegweiser, denn ich mußte Susan Crane stoppen, bevor etwas Schlimmes passierte.
Mir war ein schrecklicher Verdacht gekommen. Helens Gang war nicht der eines normalen Menschen gewesen. So wie sie bewegten sich auch lebende Leichen, Zombies. Oder Menschen, die unter irgendeinem fremden Einfluß standen.
Ich rannte neben Susan her. Jane hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt, und so erreichten wir sehr schnell die Stelle, wo Helen die Straße überquert hatte.
Hier war sie nicht mehr.
Ich drehte mich nach links, um Susan anzusprechen, doch auch sie war verschwunden.
Keuchend blieb Jane neben mir stehen. »Wo steckt sie?«
»Keine Ahnung.«
»Die kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben, verdammt!«
»Nein, bestimmt nicht.« Ich lief auf die andere Seite zu, aber Jane war schneller und entdeckte die schmale Gasse zwischen zwei Steinbauten. Bisher war sie von einer Regentonne versperrt gewesen, die hatte Helen zur Seite geschoben.
In der Gasse war es stockfinster. Nur an deren Ende stand wie ein Ausschnitt das graublaue Licht der Dunkelheit. Ich holte die Lampe hervor und suchte nach Spuren.
In der Tat zeichneten sie sich im Staub ab. Hier war Susan Crane hergelaufen.
Auch wir nahmen den Weg. Das Gassenende rückte näher. Ich konnte mir nicht helfen, doch in mir stieg das Gefühl hoch, daß wir dort etwas Wichtiges entdecken würden.
Und dann blieben wir beide stehen. Jane schüttelte den Kopf. »Das ist ein Ding«, sagte sie. »Mein Gott, damit habe ich nicht gerechnet.«
Es war nichts Grauenhaftes oder Furchtbares, das wir zu sehen bekamen, nur eben einen ziemlich großen hölzernen Bau, der zuvor noch nicht an dieser Stelle gestanden hatte.
Und er sah mir verdammt alt aus. Alt und echt, als würde er aus einer anderen Zeit stammen, und zwar aus der Zeit, wo es noch das erste Deadwood gegeben hatte.
Auch Jane dachte so. »Das ist aus der alten Vergangenheit«, flüsterte sie. »Ja, das muß es sein.«
»Und Helens Ziel.«
Jane ließ sich nicht beirren. Die Erinnerung überwältigte sie. Ich spürte ihre Finger an meinem Ellbogen. »Ich weiß noch genau, John, wie das war. Ich habe in die Stadt hineinsehen können, aber auch darüber hinweg, und da sah ich diesen Bau.«
»Er sieht aus wie eine Kirche«, sagte ich.
Sie lachte. »Nein, nie. Eine Kirche in diesem Ort? In Deadwood, wo der Teufel regiert hat?«
»Wir wissen es nicht. Aber schau dir den Turm an. Der könnte auch ein Glockenturm sein.«
In der Tat ragte an einer Seite des düster wirkenden Bretterbaus ein Turm in die Höhe. Sein Ende war abgeflacht. Dicht darunter befanden sich lukenartige Fenster, durch die wir leider nicht schauen konnten, weil es einfach zu dunkel war.
Wie fast alle Bauten in Deadwood, so besaß auch dieses größte einen breiten Vorbau, der von kräftigen Holzsäulen gestützt wurde. Die sehr breite, geschlossene Tür fiel mir ebenfalls auf, außerdem das Schild, das auf dem Vorbau stand. Leider war es zu dunkel, um die mittlerweile verblaßte Schrift lesen zu können.
Jane und ich gingen näher heran. Es war still geworden. Selbst das leise Säuseln des Windes hörten wir nicht mehr. Die Schatten lagen wie lange Arme auf dem Boden und schienen nach dem greifen zu wollen, was sich bewegte. Noch vor der großen Veranda
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