Deadwood - Stadt der Särge
weg. Hier im Saloon hält uns nichts mehr. Wir können ebensogut draußen warten.«
»Ich weiß nicht, ob ich bleiben soll. Das Klavierspiel hat mir regelrecht Angst eingejagt.«
Auf einmal und ohne Vorwarnung hörten wir die Stimme. Nicht im Saloon war sie aufgeklungen, sondern draußen, auf der Main Street. Sehr deutlich hörten wir ihre Worte.
»Hello Susan, du bist da. Ich habe dich gehört. Ich grüße dich, Susan Crane… ich grüße dich…«
Susan war blaß wie ein Leichentuch geworden. Sie wankte zurück. Wir sahen den Schweiß auf ihrer Stirn. Hätte Jane sie nicht gestützt, wäre sie wahrscheinlich gefallen.
»Was ist denn?« fragte ich. »Was haben Sie?«
»Die Stimme, John, ich… ich kenne sie. Die Stimme gehört meiner Freundin Helen…«
***
So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht, gab aber keinen weiteren Kommentar ab, sondern wartete, bis sich Susan wieder einigermaßen erholt hatte.
Jane drückte sie nach vorn. Sie stand da wie ein völlig verängstigtes Kleinkind, schaute zum Fenster und schien darauf zu warten, daß man sie noch einmal rief.
»Ich schaue mal nach«, sagte ich und lief auf eines der beiden Fenster zu. Erste Schatten lagen bereits über der Straße. Dazwischen zeichnete sich das letzte Tageslicht ab, aber es hatte bereits eine bleigraue Farbe bekommen und wurde immer dunkler.
Von der Ruferin sah ich nichts. Möglicherweise stand sie auch woanders, jedenfalls mußte ich den beiden Frauen ein negatives Ergebnis mitteilen, als ich zu ihnen ging.
Susan Crane zog die Nase hoch. »Aber… aber ihr habt sie doch auch gehört — oder nicht?«
»Doch, das haben wir.«
»Dann ist sie hier. Sie wartet auf uns. Mein Gott, sie hat überlebt. Oder sich nur versteckt…«
»Susan, bitte, behalten Sie die Nerven«, sagte ich. »Nur nichts überstürzen. Alles kann sich aufklären. Vielleicht hat sie sich tatsächlich die ganze Zeit über in einer anderen Stadt verborgen gehalten und ist erst am heutigen Abend gekommen. Alles ist möglich. Wir werden die Lösung finden, das verspreche ich.«
»Aber wie kann sie…«
»Susan, bitte. Vertrauen Sie uns! Um etwas anderes kann ich Sie nicht bitten.«
Sie nickte und schluckte gleichzeitig. »Wie Sie meinen, John. Ich gehe dann mit.«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als die zweite Tür plötzlich anfing zu rappeln, als hätte sie schwere Schläge erhalten. Es war diese Schiebetür hinter dem Eingang, und wir drei zuckten zusammen, schauten hin und sahen, daß sie aus ihrer Verankerung gerissen wurde, als hätte jemand mit einem Hammer dagegen geschlagen. Unsere Blicke fielen auf die Schwingtür und auf die Straße. Dort aber zeigte sich niemand.
»Okay«, sagte Jane und gab ihrer Stimme einen forschen Klang. »Wenn man uns schon die Möglichkeit eröffnet, wollen wir sie auch ausschöpfen. Laßt uns den vorderen Ausgang nehmen!«
Keiner widersprach. Susan Crane wurde von uns in die Mitte genommen. Sie zitterte, wir mußten ihr gut zureden. Wir spürten ihre Furcht. Je näher wir der Tür kamen, um so mehr verzögerte sie ihre Schritte. Jane legte eine Hand gegen ihren Rücken und schob sie sacht vor, während ich mich an die Spitze gesetzt hatte. Hinter der zerstörten Tür hatte natürlich niemand gestanden. Wer also hatte es getan?
Vor der leicht pendelnden Schwingtür blieb ich stehen, schaute über sie hinweg und kam mir vor wie ein Westernheld, der sich auf den großen Kampf mit dem Erzrivalen vorbereitet.
Mein Blick glitt auf die verstaubte Main Street, wo die Schatten der Dämmerung das letzte Tageslicht bereits abgelöst hatten. Auch der vom Wind über den Boden bewegte Staub sah jetzt grau aus und erinnerte mich an rasch vorbeiziehende Nebelschwaden.
Weder der Hinkefuß noch die Sprecherin zeigten sich. Wir hatten mit dem Grey Man ja bereits unsere Erfahrungen gesammelt und wußten, daß er von einem Augenblick zum anderen erscheinen konnte. War es bei Helen ähnlich oder ebenso?
Wenn ja, mußte sie uns ebenfalls irgendwann als Geistererscheinung gegenüberstehen.
Hinter mir vernahm ich das gepreßte Atmen der Susan Crane. Jane Collins reagierte da gelassener, sie war schließlich Kummer gewohnt und hatte einiges hinter sich.
Mein Rücken verdeckte die Sicht der beiden Frauen. »Siehst du was?« hörte ich Jane flüstern.
»Nein, nur die leere Straße.« Mir kam eine Idee. »Paßt auf, ihr bleibt hier. Ich gehe mal raus. Vielleicht hocken sie irgendwo auf den Häusern. Und Sie, Susan, beschreiben mir
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