Deadwood - Stadt der Särge
fiel gegen einen Stützpfosten, der nicht brach, so daß sich der Zombie daran festklammern konnte.
Erst jetzt, als all seine Helfer die Särge verlassen hatten, begann der Hinkefuß zu sprechen. »Ich heiße dich in Deadwood willkommen, John Sinclair, und ich freue mich höllisch, daß du meiner Einladung gefolgt bist.«
»Die Freude ist nicht auf meiner Seite!«
»Das kann ich mir vorstellen. Welcher Mensch geht schon gern dorthin, wo die Kräfte des Teufels vorhanden sind? Aber du bist ja anders. Du bist ihm auf der Spur, du willst ihn vernichten, und ich hätte dich und deine Freundin Jane Collins nicht geholt, wenn ich euch nicht gebraucht hätte.«
»Wozu?«
Er lachte mich scharf an. »Du bist gekommen, um den Fluch von mir zu nehmen, Geisterjäger.«
»Ich soll dich befreien?«
»Ja.«
»Das werde ich mir sehr genau überlegen.«
»Es bleibt dir nichts anderes übrig, weil ich die ehemalige Hexe in meiner Gewalt habe.«
Nur kurz zuckte ich zusammen. Der Hinkefuß hatte es trotzdem gesehen und begann zu lachen. »Ja, Geisterjäger, Jane Collins befindet sich in meiner Gewalt, und ihre Lage ist nicht gerade angenehm. Sie ist in die Gewalt meines Galgens geraten. Wenn ich es will, wird sie gehängt. Also, überlege es dir. Ich gebe dir nur kurz Zeit. Wenn ich dir die nächste Frage stelle, mußt du dich entschieden haben. Versuche nicht, dein Kreuz gegen mich einzusetzen, ich wäre immer schneller als du. Was ist eine menschliche Bewegung schon im Vergleich zu einem Gedankensprung?«
Da gab ich ihm recht. Ich überlegte natürlich, ob er bluffte. Wahrscheinlich nicht. Er hatte es nicht nötig, und Jane Collins hatte tatsächlich zusammen mit Susan Crane verschwinden wollen. Ein Fehler, wie ich jetzt zugab.
Wenn ich Jane retten wollte, mußte ich ihn von seinem Fluch erlösen. Was würde dann geschehen? Konnte ich ihn trotzdem vernichten?
»Hast du dich entschieden? Wenn ja, will ich jetzt deine verdammte Antwort wissen.« Seine Stimme klang kratzig und gleichzeitig hohl, als würde er jedes Wort in eine Röhre sprechen.
»Wer sagt mir, daß du nicht bluffst?«
Der Hinkefuß vollführte eine fast wütende Kopfbewegung. »In meinem Reich habe ich dies nicht nötig.«
»Aber sie lebt?«
»Noch!«
Ich nickte bedächtig. »Also gut«, sagte ich. »Ich habe mich entschieden und gehe auf deinen Plan ein.«
Der Hinkefuß wollte es zunächst nicht glauben, weil er wiederum lachte. Dann breitete er die Arme aus. »Es ist gut, und ich hoffe, daß du bei deiner Meinung bleibst.«
»Habe ich eine andere Chance?«
»Nein, bestimmt nicht. Ich bin dir in gewisser Hinsicht dankbar und werde dir etwas vorführen, was du noch nie in deinem Leben gesehen oder erlebt hast. Du kennst die Retrokognition?«
»Sicher.«
»Dann ist dir auch die Präkognition ein Begriff?«
»Natürlich.«
»Darum handelte es sich im Prinzip.«
»Du wirst es wissen, Grey Man. Ich habe noch keine Ahnung, was dieser Begriff mit Deadwood zu tun hat.« Der Hinkefuß bewegte sich um keinen Zentimeter zur Seite, als er mit seiner Erklärung begann. »Ich bezeichne die Präkognition als Vorauswissen und möchte auf den Begriff der Ebene zu sprechen kommen. Wir alle leben auf einer Ebene, die sich aus drei Zeiten zusammensetzt. Aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Diese drei Zeiten existieren gleichzeitig. Es bedeutet: Alles ist schon da. Wir gehen nur an den Ereignissen vorüber. Ob Mensch, ob Geist, ob Teufel, ob ich. Uns ist nur der Blick für diese Dinge versperrt worden. Wir sind blind und können nicht in die beiden anderen Zeiten hineinsehen, weil wir zu sehr auf die Gegenwart fixiert sind und nur das glauben, was wir sehen. Aber die anderen Zeiten sind ebenfalls vorhanden. Unsichtbar, aber da. Für mich gibt es keine Zukunft. Es ist alles schon geschehen, nur läuft, von mir aus gesehen, die Zukunft rückwärts. Die meisten von uns glauben nicht daran. Erst in letzter Zeit, so habe ich gehört, beschäftigen sich auch Forscher mit diesem Problem. Und es gibt gewisse Zwischenräume, die man als glücklich bezeichnen kann. Wenn diese Zwischenräume innerhalb der Ebenen entstanden sind, reißen sie große Löcher. Dann existieren die Trennlinien plötzlich nicht mehr, und die Zeiten mischen sich. So etwas erlebst du hier. Gegenwart und Vergangenheit treffen zusammen, sie überschieben und überlappen sich. Es entstehen gewisse Leerräume, in die wir hineingeraten und die uns die Möglichkeit geben, mit den Zeiten zu
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