Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
die sich im Wagen ausbreitete, nachdem er eingestiegen war, veranlasste mich dazu, die Spiegel ein drittes Mal komplett neu zu justieren. Vielleicht brauchte er einen Beweis, dass ich wusste, wie man die Spiegel an einem Auto richtig einstellt.
Ich nahm an, dass wir auf den zweiten Fahrschüler warteten. Normalerweise werden immer gleich zwei Leute innerhalb einer Dreiviertelstunde geprüft, aber dieses Glück war mir nicht vergönnt. Stattdessen hatte ich mal wieder den Jackpot geknackt: Als einziger Prüfling durfte ich nun fünfundvierzig Minuten auf der Autobahn, abseits der Autobahn, durch Baustellen und enge Kaffs, die nicht für den Autoverkehr gemacht sind, fahren. Und dann die vielen Stoppschilder … Und das Schaltgetriebe … Peter hat mir einmal gestanden, dass es kein Vergnügen ist, bei mir im Auto zu sitzen, wenn es sich um einen Schaltwagen handelt. Wahrscheinlich ist dem Prüfer richtig übel geworden.
Mein Fahrlehrer hatte in der Fahrstunde zwar englisch mit mir gesprochen, aber die Prüfung fand auf Deutsch statt: »Fahren Sie links, rechts und dann geradeaus, bitte.« Es war eine große geistige und körperliche Herausforderung, die deutschen Anweisungen in meinem Gehirn zu verarbeiten und an meine Füße auf den Pedalen und die Hände am Lenkrad weiterzuleiten. Im Stillen fragte ich mich, ob es ein schlechtes Zeichen war, dass ich so lange fahren musste, aber da ich den Mann in Bundlederhosen nicht darauf ansprechen wollte, fuhr ich einfach wortlos weiter. Gefühlte einhundert Stunden später kehrten wir zum Ausgangspunkt zurück. Mr. Lederhosen sagte kein einziges Wort, sondern stieg einfach aus und ging weg. Ein seltsamer Kauz. Eine Maß Oktoberfestbier hätte ihn vielleicht aufgeheitert. Er unterhielt sich mit meinem Fahrlehrer, der kurz darauf mit sehr ernstem Gesicht zu mir zurückkehrte. Mein Herz wurde schwer. Dann kam die Erlösung: »Sie haben die Prüfung bestanden.«
Es dauerte eine geschlagene Minute, bis ich den Sinn dieser Worte erfasst hatte. Man stelle sich das vor: 999 Fragen und Antworten hatte ich auswendig gelernt, aber das simple Wort bestanden gehörte einfach nicht zu meinem Wortschatz. Der ausdruckslose Blick meines Fahrlehrers war mir keine Hilfe. Ein kleines Lächeln, eine große Flasche Champagner oder ein Tischfeuerwerk wären hilfreich gewesen, aber er machte ein Gesicht wie bei einer Beerdigung oder beim Pokern. Kein einziges Wort darüber, wie gut oder schlecht ich abgeschnitten hatte, kein Kommentar zu meiner Fahrweise. Ich hätte wenigstens erwartet, dass man mir gratuliert oder mir sagt: »Gute Frau, Sie sind eine Gefahr für die Straße!«. Aber nichts dergleichen.
Doch im Endeffekt war mir alles egal: Ich hatte schließlich bestanden. Alles andere war jetzt unwichtig. Ich tanzte den ganzen Weg zur Bushaltestelle und rief wieder Peter und anschließend meine CBS-Kollegen an. Dieses Mal war mir ein mittleres Gebirge vom Herzen gefallen. Die Höllenqualen auf dem Weg zum Führerschein hatten ein Ende. Ich konnte jetzt frei durchatmen, ohne mir jemals wieder Gedanken über die Maximallänge von Lkw-Anhängern machen zu müssen.
Das Erstaunliche an einer deutschen Fahrerlaubnis ist, dass man sie bis an sein Lebensende behält, ohne irgendwelche Nachprüfungen ablegen zu müssen. In den USA muss man alle paar Jahre den Führerschein erneuern und einen Sehtest machen. Ich finde das zwar eigentlich logisch, aber ich bin bestimmt nicht traurig, dass ich mir den regelmäßigen Gang zum Straßenverkehrsamt ersparen kann.
Der einzige Grund, der mich nochmals dorthin führen könnte, wäre, einen neuen Führerschein im Scheckkartenformat zu beantragen. Ich habe nach meiner Prüfung nämlich noch einen aus rosa Labberpapier bekommen, der bei Weitem nicht so schick und praktisch ist wie der neue. Irgendwie hänge ich jedoch an meinem ersten deutschen Führerschein. Er sieht zwar sehr hinterwäldlerisch aus, aber er hat Charme, und ich verbinde viele Erinnerungen mit ihm.
Selbst, als ich endlich im Besitz eines deutschen Führerscheins war, hieß das noch lange nicht, dass ich mich problemlos mit dem Auto durch Stadt und Land bewegen konnte.
Meine erste Erfahrung: Die hiesigen Städte sind einfach nicht für Autos gebaut. Wegen der verschlungenen Straßenführung muss man am Steuer höllisch aufpassen. Außerdem werden Straßen im Gegensatz zu den USA nicht durchnummeriert oder nach den Buchstaben des Alphabets bezeichnet. Das wäre ja viel zu einfach. Stattdessen
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