Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
orientieren (was mir allerdings auch bei wolkenlosem Himmel nicht gelingt), weiß ich nie, in welche Himmelsrichtung die Autobahn nun eigentlich führt. Wenn man die geografische Lage der Städte nicht kennt, kann man nie sagen, ob man in Richtung Nord, Süd, Ost oder West unterwegs ist. Viel zu selten, für mich zumindest, stehen auf Hinweisschildern Städte, von denen ich schon einmal gehört habe, wie München oder Hamburg. Stattdessen tauchen oft Namen auf, die sich eher wie eine Wurstsorte anhören, zum Beispiel Nürnberg, Braunschweig oder Cloppenburg.
Wenn ich auf der Autobahn unterwegs bin, habe ich definitiv keine Zeit, einen Blick in den Atlas zu werfen. Darum machte ich es mir zur Angewohnheit, vor längeren Autobahnfahrten wie ein Verkehrspilot eine Art Flugplan zu schreiben: Wann ich auf eine größere oder kleinere Stadt treffe, nach wie vielen Kilometern ich auf eine andere Autobahn wechseln muss, und natürlich die Nummern der Autobahnen. Ich kam mir sehr professionell vor.
Trotzdem landete ich manchmal in Gegenden, die nicht auf meinem Fahrplan standen. Beispielsweise an dem Tag, als ich einen Termin in einer Kleinstadt hatte, die eine halbe Stunde von Köln entfernt war. Wundersamerweise fand ich ohne Probleme dorthin, indem ich der Wegbeschreibung folgte, die Peter mir aufgeschrieben hatte. Für den Rückweg funktionierte das aber nicht mehr. Es war, als müsste ich rückwärtslesen. Nach vierzig Minuten im Glauben, auf dem Weg zurück nach Köln zu sein, bekam ich das untrügliche Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Als ich Peter mit dem Handy anrief, versuchte ich, gelassen zu klingen und meine Panik zu überspielen: »Honey, ich glaube, ich habe mich verfahren.«
»Wo bist du denn?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Gibt es irgendetwas Besonderes, das du siehst?«
»Hier tauchen plötzlich lauter Windmühlen auf. Bin ich noch richtig?«
Mit Engelsgeduld versuchte er daraufhin, meinen Standort zu lokalisieren, indem er mir einen Haufen Fragen stellte, und lotste mich schließlich wieder weg von den Niederlanden in Richtung Köln. Beinahe hätte ich die Grenze erreicht, ohne es zu ahnen.
Doch zurück zu deutschen Autobahnen im Allgemeinen. Wenn mich amerikanische Freunde besuchen, loben sie immer die disziplinierte Fahrweise der Deutschen. Diszipliniert vor allem deshalb, weil hier nur links überholt wird und die langsamer fahrenden Autos sich meistens auch brav in der rechten Spur aufhalten. In Amerika ist das grundsätzlich auch so vorgeschrieben, es hält sich nur nicht jeder daran. Ein Grund sind die niedrigeren Geschwindigkeiten, die die Autofahrer deutlich entspannter machen und ihnen die Möglichkeit geben, auf dem Weg ins Büro einen Becher Kaffee zu schlürfen oder einen Muffin zu essen. In Deutschland dagegen ist Geschwindigkeit alles. Ich weiß nicht, wie viele verhinderte Formel-1-Rennfahrer schon mit 220 Sachen auf der linken Spur an mir vorbeigerauscht sind. Oder, was noch schlimmer ist, mir von hinten fast ins Heck rasten, während ich auch nicht gerade langsam mit 150 Stundenkilometern ein anderes Auto überholte. Als mir das zum ersten Mal passierte,wäre ich vor Schreck fast nach links in die Leitplanke gekracht. Seitdem halte ich im Rückspiegel besonders gut Ausschau nach solch militanten Dränglern. Nur wenige Dinge in Deutschland machen mir so viel Angst wie diese Autobahn-Rowdys.
Auch andere, scheinbar übernatürliche Phänomene, führten ausländische Fahrer (mich eingeschlossen) auf deutschen Autobahnen eine ganze Zeit lang zu Verwirrung. Ich weiß noch genau, als ich im Autoradio zum ersten Mal hörte, dass ein Geisterfahrer unterwegs sei. Ich wusste zwar, was Geist heißt und auch, was Fahrer bedeutet, aber in Kombination ergaben die beiden Wörter für mich keinen Sinn. Die Meldung schien jedoch so wichtig zu sein, dass sogar das laufende Programm unterbrochen wurde. Ich fuhr einfach weiter, weil ich nicht wusste, was das Ganze zu bedeuten hatte.
Erst ein paar Jahre später, als mein Deutsch besser war, verstand ich, was Geisterfahrer wirklich sind. Heute nennt man diese Irrläufer ja eher Falschfahrer, vielleicht auch, um niemanden mehr zu erschrecken als nötig. Wenn ich jetzt also im Radio eine Durchsage höre wie: »Eine Warnung an alle Autofahrer: Auf der A3 Richtung Oberhausen zwischen Königsforst und Köln-Mühlheim ist ein Falschfahrer unterwegs. Bitte fahren Sie vorsichtig, und halten Sie sich äußerst rechts. Wir informieren Sie, sobald die
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