Deathbook (German Edition)
Taschentuch.
«Ich weiß nicht», meldete sich plötzlich Viola, die bisher geschwiegen und mit ihrem Handy herumgespielt hatte. «Ich weiß nicht, ob das wichtig ist.»
«Alles kann wichtig sein, Viola. Wenn du etwas weißt, dann sag es bitte.»
«Na ja, die Kathi, Sie wissen ja, sie hat sich gern fotografieren und filmen lassen. Ich hab ja dem Schriftsteller schon dieses Rattenvideo gezeigt. Wissen Sie noch?»
«Ja, natürlich. Und weiter?»
«Auf meinem Handy sind mehr als tausend Fotos gespeichert, gestern war die Karte voll, und ich musste welche löschen … ich hab die Kathi dauernd fotografiert, keine Ahnung, vielleicht zweihundertmal oder so. Wir fotografieren uns alle gegenseitig, da ist nichts Besonderes dabei, deswegen habe ich auch gar nicht daran gedacht.»
Astrid hätte Viola gern geschüttelt, damit sie endlich zum Punkt kam. Es fiel ihr schwer, die geduldige Zuhörerin zu geben.
Viola spielte mit ihrem Handy herum, drückte ein paar Tasten und hielt es dann so, dass Astrid den Bildschirm betrachten konnte.
«Beim Löschen habe ich dieses Foto gefunden. Ich weiß gar nicht mehr, wann und warum ich es gemacht habe.»
«Das ist Kathi. Na und?»
«Ja, aber schauen Sie mal, da rechts, im Hintergrund.»
Z um zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden erreichte Manuela Sperling das einsam am Waldesrand gelegene Haus. Diesmal allerdings nicht allein: Sie saß auf dem Beifahrersitz, Kieling fuhr. Ihnen folgten zwei Streifenwagen mit vier weiteren Beamten. Dass sie nicht mit Blaulicht hierhergerast waren, schmälerte nicht die Dramatik, mit der sich dieser Fall entwickelte.
Andreas war in Haft. Kieling hatte den Haftbefehl rechtzeitig bekommen, und er hatte auch einen Durchsuchungsbefehl für das Haus dabei. Anfangs hatte Manuela noch versucht, ein wenig Partei für Andreas zu ergreifen, obwohl sie enttäuscht war von ihm. Bei Kieling konnte sie damit aber nicht landen. Er hatte seinen Täter: einen durchgeknallten Thriller-Autor, der vor den Trümmern seiner Karriere stand und dessen letzter Rettungsanker dieser auf dem Tod seiner Nichte selbst inszenierte Fall war. Das war eine sehr dünne Theorie, aber Manuela musste sich eingestehen, dass Andreas sich mit seinem Verhalten in den Fokus der Ermittlungen gebracht hatte. Sie wollte und konnte immer noch nicht glauben, dass er zu so etwas fähig war. Hatte sie sich wirklich derart in ihm getäuscht?
Kieling stoppte, stellte den Motor ab, stieg aber nicht sofort aus. Einen Moment starrte er durch die Windschutzscheibe, dann sah er sie an.
«Sie sind ungewohnt schweigsam», sagte er.
Manuela presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
«Es will mir nicht in den Kopf», sagte sie.
«Tut mir leid», erwiderte Kieling, «aber wie es aussieht, müssen Sie sich damit abfinden, dass Ihr Bekannter nicht ganz rundläuft. Machen Sie sich keine Vorwürfe, so etwas sieht man nicht. Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass er ein manipulativer Mensch ist. Vielleicht hat er Sie die ganze Zeit nur benutzt.»
«Wie das?»
«Na ja, als Schnittstelle zur Polizei. So etwas wünscht sich doch jeder Gewalttäter.»
«Das glaube ich nicht», empörte sich Manuela.
«Natürlich nicht. Sie glauben ja auch nicht, dass Ihr Bekannter als Täter in Frage kommt. Aber ich will Ihnen mal eines sagen: Vertrauen Sie der Erfahrung eines altgedienten Kollegen. Das kann nie schaden. Ein Studium ist ja ganz gut, aber es ist nur die Grundlage. Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen in die Psyche von Tätern lernen Sie nur in der Realität.»
Das klang ein wenig angeberisch, fand Manuela. Gleichzeitig spürte sie aber auch, dass Kieling sie mit seinen Worten trösten wollte. Er war sicher kein schlechter Vorgesetzter, aber ihr war sein Weltbild zu eng gefasst und seine Methoden zu altbacken.
«Glauben Sie nicht, er hätte sich cleverer angestellt, wenn er wirklich der Täter ist?», fragte Manuela.
Kieling lächelte süffisant. «Glauben Sie mir, Frau Sperling, Ihr Bekannter hält sich ganz sicher für äußerst clever. Das tun sie alle. Und alle denken sie, dass wir Polizisten die letzten Deppen sind. Das große Erwachen kommt dann an Tagen wie diesem.»
Er stieß die Wagentür auf.
«Wir stellen hier jetzt alles auf den Kopf. Los, aufmachen!», befahl er den Kollegen.
Mit einem speziellen Werkzeug dauerte es genau fünfzig Sekunden, und das Schloss der Haustür war geöffnet. Die Beamten zogen ihre Waffen, gingen vor und sicherten das
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