Deathbook (German Edition)
achtzehn Uhr. Auf dem Hof parkte ein grüner Golf Kombi. Es war also jemand zu Hause. Manuela stieg aus, nahm ihren Mut zusammen und klingelte. Auf dem Keramikschild neben dem Klingelknopf stand:
«Hier leben Heiko, Iris und Kathi Winkelmann»
Manuelas Hals wurde eng.
Ein Mann öffnete ihr. Er hatte kaum Ähnlichkeit mit Andreas, aber wer sonst als sein Bruder sollte diese Tür öffnen?
«Ja?» Er sah sie fragend an. Mit Besuch hatte er augenscheinlich nicht gerechnet. Er trug eine ausgebeulte Jogginghose, dazu ein weißes Shirt, sein Haar war ein wenig zerzaust.
«Heiko Winkelmann?», fragte Manuela, nur um sicherzugehen.
«Ja. Was wollen Sie?»
«Entschuldigen Sie bitte die späte Störung. Mein Name ist Manuela Sperling. Ich bin von der Polizei. Man hat Ihren Bruder Andreas heute festgenommen.»
«Was? Warum denn das?»
«Darf ich einen Moment hereinkommen? Ich würde gern mit Ihnen und Ihrer Frau darüber sprechen.»
Heiko Winkelmann zögerte einen Moment. Mit fahrigem Blick sah er sie an. Schließlich bat er Manuela aber doch in den Flur. Drinnen roch es ein wenig abgestanden, so als wäre schon lange nicht mehr gelüftet worden. Schuhe standen auf den Treppenstufen ins Obergeschoss, Jacken lagen unter der Garderobe. Schon der erste Blick verriet, dass sich hier niemand um den Haushalt kümmerte.
«Was ist denn passiert?», fragte Heiko Winkelmann.
«Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?»
«Ja, natürlich, kommen Sie bitte durch ins Wohnzimmer.»
Er öffnete eine Tür mit Glasfüllung und ließ sie eintreten.
«Nehmen Sie bitte Platz.»
Manuela blieb mitten im Raum stehen.
«Oh, entschuldigen Sie bitte … es ist so vieles liegengeblieben in den letzten Tagen.»
Hektisch räumte Andreas’ Bruder zwei Sitzplätze auf der Couch frei. Darauf stapelten sich Kleidungsstücke, Handtücher und Zeitschriften. Etwas unschlüssig sah er sich mit diesen Sachen in den Händen um. Dann ließ er sie einfach vor dem Wohnzimmerschrank zu Boden fallen. Er bat Manuela noch einmal, Platz zu nehmen, und ließ sich selbst in einen Sessel fallen. Nie hatte diese Formulierung besser gepasst: Es wirkte so, als habe der Mann kaum noch Kraft, sich auf den Beinen zu halten.
«Warum ist Andreas verhaftet worden?», fragte er.
«Herr Winkelmann, ist Ihre Frau auch da?»
«Ja, schon, sie ist oben. Sie hat sich für ein paar Minuten hingelegt. Diese ganze Sache … das ist nicht einfach, wissen Sie. Kathi war unser einziges Kind, und wir können auch keines mehr bekommen. Wir tun, was wir können, wirklich … aber Iris … es geht ihr nicht so gut.»
«Sie müssen sich für nichts rechtfertigen, Herr Winkelmann. Was Sie durchmachen, sollten Eltern nicht erleben. Niemals. Und niemand kann von Ihnen verlangen, dass Sie nach ein paar Tagen Trauer wieder in den Alltag zurückkehren. So etwas braucht Zeit.»
Andreas’ Bruder nickte, ohne sie anzusehen. «Das erzählen Sie mal meinem Arbeitgeber. Ich musste mich krankschreiben lassen, weil ich keinen Urlaub mehr bekomme.»
Die Stimme des Mannes wurde immer weinerlicher. Manuela befürchtete, er würde gleich in Tränen ausbrechen. Aber dann schüttelte er den Kopf, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und sah sie aus geröteten, übernächtigten Augen an.
«Was ist denn nun mit Andreas?»
«Es wäre wirklich einfacher, wenn Ihre Frau dabei wäre. Meinen Sie, Sie könnten sie wecken?»
Heiko Winkelmanns Gesicht erstarrte. Jetzt füllten sich seine Augen mit Tränen. Er schluchzte nicht und brach auch nicht unter Heulkrämpfen zusammen. Seine Tränen waren stille Bäche auf lange nicht rasierten Wangen.
Er schüttelte den Kopf.
«Sie ist nicht hier», gestand er seine Lüge ein. «Schon seit drei Tagen nicht mehr.»
«Ich verstehe nicht …»
«Iris hatte wieder einen Nervenzusammenbruch. Sie hat die ganzen Pillen auf einmal genommen … Der Arzt hatte ihr ein Schlaf- und Beruhigungsmittel verschrieben, gleich nach Kathis Tod … Ich … ich hätte besser auf sie aufpassen müssen …»
«Oh nein!», entfuhr es Manuela. «Wie geht es Ihrer Frau jetzt?»
«Ganz gut. Sie ist unter ständiger Beobachtung im Krankenhaus. Ich besuche sie jeden Tag für ein paar Stunden, deswegen sieht es hier so aus, ich komme ja zu nichts mehr. Ich habe den Eindruck, Iris braucht das jetzt. Von zu Hause fort zu sein. Menschen, die sich den ganzen Tag um sie kümmern. Ich konnte das nicht. Ich musste doch auch die ganze Zeit an Kathi denken, verstehen Sie.»
Der
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