Deathbook (German Edition)
Bild, doch an ihnen hatte die Kamera kein Interesse.
Sie verharrte erst, als Ann-Christin ins Bild kam.
Sie war in dem engen Gang zwischen den Regalen mit Süßigkeiten damit beschäftigt, Schokolade, Kekse und Chips einzusortieren. Dafür stand sie auf einem runden Kunststoffschemel, um die oberen Reihen erreichen zu können. Die Kamera näherte sich ihr seitlich. Ann-Christin hatte ihr dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Unter dem weißen Arbeitskittel trug sie eine schwarze Jeans, dazu schwarze Sportschuhe.
Die Kamera verharrte neben ihr und zeigte ihre Schuhe.
«Können Sie mir sagen, wo ich die Trauerkarten finde?», fragte eine männliche Stimme aus dem Off.
Ann-Christin streckte sich nach oben. Ohne sich umzudrehen und ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, sagte sie: «Gleich vorn an der Kasse.»
«Danke, sehr freundlich», sagte die Stimme aus dem Off.
In der nächsten Einstellung zeigte die Kamera Ann-Christin an der Kasse. Sie bediente eine Kundin und zog Ware über den Scanner. Erst als sie den Preis nannte, hob sie ihr Gesicht und lächelte. Die Kamera hielt auf ihre blauen Augen.
Dann ruckelte die Kamera kurz und zeigte einige Trauerkarten, die auf dem Transportband lagen. Sie schwenkte über das Warendisplay für Zigaretten und verharrte erneut auf Ann-Christins Gesicht. Konzentriert zog sie die Trauerkarten über den Scanner und nannte den Preis.
«Sechs zwanzig bitte.»
Eine Kundin, die sich nicht im Sichtfeld der Kamera befand, fragte nach dem Toilettenschlüssel. Ann-Christin griff unter die Kasse, holte ihn hervor und gab ihn der Kundin.
Ohne aufzusehen, nahm sie das abgezählte Geld aus der Plastikschale und bedankte sich.
«Auf ein baldiges Wiedersehen», sagte die männliche Stimme aus dem Off.
Die Zeit blieb stehen, und die Welt erstarrte. Die Sonne verschwand hinter einer Wolke, und Kälte legte sich auf Ann-Christins Gesicht. Sie begann zu zittern.
Heute trug sie ihr Haar offen, aber gestern hatte sie es zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Aufnahme stammte also von gestern. Sie konnte sich vage an die Frage nach den Trauerkarten erinnern, aber überhaupt nicht an den Kunden, der sie schließlich gekauft hatte.
Nachdem er sie nach den Karten gefragt hatte, war sie mindestens noch eine Stunde mit dem Einsortieren der Ware beschäftigt gewesen. Erst danach war sie an die Kasse gewechselt.
Entweder hatte er sich die ganze Zeit im Laden herumgetrieben, oder er war noch einmal zurückgekehrt.
W ie ein Tiger in einem viel zu kleinen Käfig lief ich in meiner Zelle auf und ab. Von der Stirnwand zur Tür und wieder zurück. Ein ums andere Mal. Und das seit Stunden.
Einen Tag, eine Nacht und den größten Teil des heutigen Tages war ich jetzt bereits in Untersuchungshaft. Da man mir meine Uhr abgenommen hatte, wusste ich nicht, wie spät es war. Mittagessen hatte ich in die Zelle geliefert bekommen. Es hatte erstaunlich gut geschmeckt, aber ich war auch vollkommen ausgehungert gewesen.
Meine kleine Zelle war mausgrau gestrichen, es gab darin einen Stuhl, einen Tisch, ein Bett, eine Toilette und ein Waschbecken. Dass diese Haftanstalt in die Jahre gekommen war, sah man allerorten, vor allem aber an der gelblich verkalkten Kloschüssel.
Langsam wurde ich nervös und ungehalten. Ich hatte gedacht, Kieling wolle mir nur eine Lektion erteilen und dafür sorgen, dass sich mein erhitztes Gemüt abkühlte. Ich war auch bereit gewesen, dieses Spielchen mitzuspielen, jedenfalls eine Weile. Schließlich hatte ich mich nicht gerade mustergültig verhalten. Aber seit ich hier war, hatte sich außer den Justizvollzugsbeamten niemand blicken lassen. Auch Manuela nicht. Darüber war ich anfangs nur enttäuscht gewesen, aber so langsam wurde ich ärgerlich.
Während ich hier in der Zelle hockte, trieb draußen der Deathbook-Killer sein Unwesen. Ich konnte nur hoffen, dass die Polizei nicht wirklich glaubte, ihn mit meiner Person bereits in Gewahrsam zu haben. So dumm würden sie doch nicht sein, oder?
Es reichte, ich hatte die Schnauze voll. Gestern hatte ich fast den ganzen Tag geschlafen oder zumindest gedöst. Die durchgemachte Nacht zuvor und der Stress hatten ihren Tribut gefordert. Heute war ich jedoch hellwach und stand unter Strom. Ich musste hier raus.
Ich schlug mit der Faust gegen die Tür und rief nach dem Personal.
Erstaunlicherweise musste ich das nur einmal wiederholen, und schon hörte ich draußen ein Schlüsselbund klappern, das Schloss wurde geöffnet, die
Weitere Kostenlose Bücher