Deathbook (German Edition)
Ann-Christin Kaiser, aber wir brauchen unbedingt ein Foto», antwortete der Blonde.
Als wir von Jans Wohnung aufgebrochen waren, war ich noch enthusiastisch gewesen. Ich hatte geglaubt, wir könnten den Täter noch in dieser Nacht finden. Mit dem Mädchen als Zeugin erschien das nicht unwahrscheinlich. Bei Manuela und mir war so etwas wie ein Jagdtrieb erwacht. Davon war jetzt keine Spur mehr, zumindest nicht bei mir. Ich war zutiefst niedergeschlagen.
Der Deathbook-Killer war uns zuvorgekommen und hatte sich das Mädchen geholt. Nur noch lächerliche zehn Minuten, und sie wäre in Sicherheit gewesen. Warum war das Glück auf der Seite dieses Irren? Das war doch nicht fair. Ich hätte vor Wut schreien können, gleichzeitig machte ich mir schwere Vorwürfe. Dass Ann-Christin die Tür geöffnet hatte, war nicht meine Schuld – wie hätte ich sie ohne Handyverbindung davon abhalten sollen. Aber ich fragte mich, ob der Täter unser Gespräch mitgehört hatte. Hatte Jan es geschafft, die Schadsoftware von meinem Handy zu entfernen? Vielleicht hatte der Täter schon das Chat-Gespräch zwischen Ann-Christin und mir bei Facebook mitgelesen? Ich konnte gar nichts mehr ausschließen.
Langsam bekam ich einen Eindruck davon, wie der Blogger sich fühlen musste. Wir hatten uns von moderner Kommunikationstechnik abhängig gemacht und nicht bedacht, wie schnell sie gegen uns eingesetzt werden konnte – wirkungsvoller als ein Messer oder eine Schusswaffe. Man brauchte keine ultramodernen Kampfroboter wie in den Terminator-Filmen, um die Menschheit zu bedrohen. In einer vernetzten Welt reichte dafür schon ein motivierter und virtuoser Hacker.
Das Gespräch, das Manuela mit den uniformierten Kollegen führte, kam mir plötzlich so sinnlos vor. Ich wandte mich ab und ging auf die offenstehende Haustür zu. Da lag ein Handy auf dem Boden, wahrscheinlich gehörte es Ann-Christin. Die Polizisten hatten es nicht berührt, und ich würde es auch nicht tun. Ich stieg darüber hinweg und betrat das Haus.
Überall brannte Licht.
In der Tür zum Wohnzimmer blieb ich stehen. Auf dem niedrigen Couchtisch stand ein aufgeklappter Laptop. Daneben lag ein Taschenbuch, das ich nur allzu gut kannte: «Blinder Instinkt». Ann-Christin musste es hervorgeholt haben, nachdem wie miteinander gesprochen hatten. Wahrscheinlich wollte sie sich ein Bild von mir machen. Verständlich.
Ich erinnerte mich daran, wie viel Spaß ich damals beim Schreiben der Geschichte gehabt hatte. Sie hatte mich fasziniert, obwohl sie von einem furchtbaren Psychopathen handelte, der kleine Mädchen quälte. Was, wenn Ann-Christin gerade ebenfalls gequält wurde? Das wäre alles andere als ein Spaß! Hier vermischten sich Realität und Fiktion immer mehr miteinander. Unvorstellbare Gräueltaten, deren Darstellung jeder Verlagslektor noch vor wenigen Jahren abgelehnt hätte, wurden längst in den Kellern, Häusern, Hallen und Hinterhöfen unserer Städte begangen.
Noch etwas lag auf dem Tisch: die Visitenkarte. Diese verfluchte Karte mit dem QR -Code auf der Rückseite.
Ich erinnerte mich nur zu gut an das, was Ann-Christin am Telefon zuletzt gesagt hatte. Sie hatte den Code eingescannt, und was sie zu sehen bekommen hatte, war furchtbar gewesen. Ich hatte deutlich hören können, wie verstört sie gewesen war.
Mit einem Blick auf den Laptop, dessen Bildschirm jetzt schwarz war, versuchte ich mir ein Bild von den Geschehnissen zu machen: Ann-Christin scannt den Code, erhält Zutritt zum Deathbook, sieht es sich ein paar Minuten an – sicher nicht länger als fünf Minuten –, dann klingelt es an der Haustür. Sie öffnet in der Annahme, es handele sich um die Polizisten, und läuft dem Killer in die Arme.
Wie hatte er es nur geschafft, so schnell hier zu sein, nachdem sie den Code gescannt hatte?
Er musste bereits vor Ort gewesen sein. Am Telefon hatte sie mir erzählt, sie sei angegriffen worden. Irgendwie hatte sie entkommen können, aber der Deathbook-Killer ließ sich nicht einfach so abschütteln. Auch ohne unseren Kontakt hätte der Täter sie in dieser Nacht aufgesucht. Die zeitliche Übereinstimmung war reiner Zufall.
Manuela trat zu mir. Ich erschrak, denn ich hatte sie nicht kommen hören.
«Es kommt jetzt auf jede Minute an. Wir brauchen dringend ein Foto von dem Mädchen. Die Kollegen hören sich bereits in der Nachbarschaft um. Vielleicht hat jemand einen verdächtigen Wagen gesehen.»
Ich nickte nur. Ich war immer noch viel zu tief in meine
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