Deathbook (German Edition)
ist ja näher dran. Er soll mit ein paar Leuten zu diesem Franz Altmaier fahren. Was du sagst, klingt plausibel, zumal die meisten Opfer Schüler sind.»
Sie zog ihr Handy hervor und rief an. Ich stand daneben und lauschte. Es trieb mich fast zur Weißglut, dass ich hier war und nicht dort, dass Kieling den Täter nun allein festnehmen durfte. Aber selbst wenn ich dort gewesen wäre, hätte der Hauptkommissar mich sicher nicht mitgenommen.
«Sie sind unterwegs», sagte Manuela und steckte das Handy wieder weg.
Es klopfte an der Wohnzimmertür, und der Polizeibeamte mit dem flachsblonden Haar trat ein.
«Frau Sperling, schnell, die Situation eskaliert …»
Hinter ihm standen Tante Verena und Gustav Musiol und lauschten interessiert.
«Die Streife, die wir zu Lutz Kaiser geschickt haben, hat sich per Funk gemeldet. Der Mann hat sich verbarrikadiert und droht, sich selbst zu töten. Er soll gesagt haben, dass niemand seine Tochter bekommt.»
«Shit», stieß Manuela aus und sah mich hilfesuchend an. «Was machen wir jetzt?»
Es war das erste Mal, dass ich sie ratlos sah. Mir ging es genauso, ich verstand gar nichts mehr. Wieso jetzt doch Ann-Christins Vater? Der passte doch überhaupt nicht ins Täterbild. Franz Altmaier war der Deathbook-Killer, niemand sonst!
«Soll ich mit Lutz reden?», rief Verena Thiel vom Flur her.
«Wie gut kennen Sie ihn denn?», fragte Manuela.
«Wir sind nicht unbedingt Freunde, aber ich hatte immer das Gefühl, er mag mich.»
«Der mag niemanden», mischte sich Gustav ein. «Und wenn …»
«Halten Sie den Mund!», sagte Manuela scharf. Dann dachte sie kurz nach.
«Okay», sagte sie schließlich. «Ich fahre mit Frau Thiel sofort dorthin. Vielleicht können wir den Mann beruhigen. Andreas, bleibst du hier?»
Ich nickte. «Ja, kein Problem.» Das war nicht gelogen. Ich hatte nur wenig Interesse mitzufahren. An dem Einsatz gegen Lutz Kaiser würde ich sowieso nicht teilnehmen dürfen, da konnte ich genauso gut hier warten. Außerdem musste ich über den Lehrer nachdenken. Klar, ich war auch schon bei Mario Böhm sicher gewesen, aber diesmal war es etwas anders. Das spürte ich.
«Ich komme aber mit», rief Gustav Musiol.
«Lieber nicht», sagte Verena Thiel. «Lutz kann dich auf den Tod nicht ausstehen.»
«Sie bleiben hier», bestimmte Manuela. Dann wandte sie sich noch einmal an mich.
«Pass auf den Rechner und das Handy auf. Niemand darf da ran.»
«Was ist mit mir? Ich könnte die Zeit nutzen und noch einmal ins Deathbook schauen.»
Sie trat ganz nah an mich heran und flüsterte mir ins Ohr: «Mach, was du willst, ich weiß von nichts.»
E r montierte die Black-Magic-Cinema-Kamera auf das Stativ. Dann fuhr er das Stativ auf eine Höhe von knapp zwei Metern aus, stieg auf einen Stuhl und richtete die Kamera auf das Motiv aus. Die Höhe war für einen optimalen Blickwinkel notwendig. Er wollte ja nichts verpassen. Die Mimik des Mannes war wichtig. Dies würde ein weiteres Video für sein Deathbook werden, mit dem er in der nächsten Zeit neue Mitglieder anlocken wollte. Im Containerhafen war ihm leider keine Aufnahme geglückt, dabei hatte er sich so darauf gefreut. Es hatte eine Premiere werden sollen. Die drei Jungs hatten den Tätowierer vor laufender Kamera auseinandernehmen sollen, wütend genug waren sie dafür ja gewesen, nachdem er ihre kleine Gruppenschlampe beim Sterben gefilmt hatte. Aber dann war dieser Schriftsteller aufgetaucht und hatte alles versaut. Und der Tätowierer war viel zäher gewesen, als er gedacht hatte. Nun gut, Scheitern war ein Bestandteil des Handelns, und am Ende hatte der Tätowierer ja doch noch ein gutes Bild abgegeben. Es hatte vierzig Minuten gedauert, bis er ausgeblutet war. Der Übergang war aber nicht so spektakulär gewesen, wie er es sich erhofft hatte. Irgendwann hatte sein Opfer einfach das Bewusstsein verloren, sodass die letzte Viertelstunde ein wenig langweilig geraten war.
Dieses Video würde anders werden. Er würde es aus zwei verschiedenen Blickwinkeln aufnehmen: einmal direkt das Gesicht des neuen Mitglieds aus dieser erhöhten Position, mit all der Mimik, die so wichtig war. Eine zweite Kamera, eine GoPro Hero 3 , hatte er dem neuen Mitglied an die Stirn geschnallt. Sie stellte sozusagen dessen eigenen Blickwinkel dar. Das würde sicher tolle Bilder ergeben. Bei dem Dreh mit dem Zug oder bei der Verbrennung war das nicht möglich gewesen, aber hier bot es sich geradezu an. Das neue Mitglied hatte einen
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