Deathbook (German Edition)
fähig. Mich hat er auch mal körperlich bedroht, im Suff natürlich. Wenn der nüchtern ist, traut der sich ja nur an Frauen und Kinder heran. Den sollten Sie sofort verhaften!»
Weder Manuela noch ich hatte die Tante und ihren Lebensgefährten über die Hintergründe des Falls aufgeklärt. Sie wussten nur, dass Ann-Christin verschwunden war.
«Ich hab da ja von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt. Ann-Christins Mutter ist die Kellertreppe runtergefallen, wissen Sie. War sofort tot. Genickbruch. Ich bin sicher, das war der Lutz. Der ist total rachsüchtig. Und jetzt hat er sich sein Kind zurückgeholt. Das durfte er die letzten Jahre nämlich nicht mehr sehen. Haben Sie den jetzt endlich verhaftet, oder was?»
So langsam ging dieser Gustav mir auf die Nerven. Er sprach in einem Ton, als wäre er der Chefermittler.
«Die Polizei kümmert sich darum», sagte ich kurz angebunden. Das war nicht gelogen. Eine Streife war auf dem Weg zu Lutz Kaiser. Ich war mir aber sicher, dass der Besuch nichts bringen würde.
Gustav stierte mich an. «Sind Sie nicht von der Polizei?», fragte er.
Ich hatte keine Lust, mich ihm zu erklären.
«Doch, bin ich. Ich bin der Chefprofiler.»
Seine Augen wurden groß. «Echt? So einer wie aus den Filmen?»
«Ungefähr so.»
Er trat ein bisschen näher an mich heran und ließ mich großzügig an seiner Alkoholfahne teilhaben.
«Ich verrate Ihnen mal was. Wenn es der Lutz nicht war, dann ist die Kleine einfach abgehauen. Die ist psychisch labil, wissen Sie, ich hab schon zu Verena gesagt, du Verena, hab ich gesagt, ich glaub, die Ann-Christin läuft nicht ganz rund. Wenn die sich mal nicht umbringt. Die hat sich überhaupt nicht um die Beerdigung ihrer Mutter gekümmert, musste ich alles allein machen. Und wie es aussieht, bleibe ich auch noch auf einem Großteil der Kosten sitzen.»
«Wann war die Beerdigung?», fragte ich.
«Ungefähr vierzehn Tage her.»
«Und wie ging es Ann-Christin danach? Haben Sie sich um sie gekümmert?»
Gustav seufzte. «Versucht hab ich es, das können Sie mir glauben, aber das Mädchen ist total verschlossen, die wollte sich nicht helfen lassen. Sie hat mich sogar beschimpft.»
Bravo, dachte ich. Kluges Mädchen.
«Hat Ann-Christin Ihnen gegenüber erwähnt, dass sie sich verfolgt fühlte?»
Gustav schüttelte den Kopf. «Nein. Wurde sie denn verfolgt?»
«Das versuchen wir herauszufinden. Was machen Sie eigentlich beruflich, Herr Musiol?» Ich wollte nicht länger mit ihm über den Fall sprechen.
«Ich bin Frührentner», antwortete er. «Früher war ich Lehrer, aber die Kinder heutzutage, hören Sie auf, das hält psychisch keiner lange aus, ich könnte Ihnen Sachen erzählen, da würden … was ist denn?»
Plötzlich wurde mir bewusst, dass mein Mund offen stand und ich den Mann anstarrte, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders. Ich hätte dem unsympathischen Gustav Musiol sogar um den Hals fallen mögen, denn er rief mir in Erinnerung, was unter dem Ansturm der Ereignisse der letzten Tage verschüttet worden war.
Jetzt wusste ich, was mir mein Gehirn die ganze Zeit hatte sagen wollen.
Der Lehrer. Franz Altmaier.
Bevor ich etwas sagen oder handeln konnte, kam Manuela mit der Tante die Treppe herunter.
«Wir haben ein gutes Foto gefunden!», rief Manuela.
Ich ließ Gustav stehen und eilte in den Flur. «Komm mal mit», sagte ich, packte sie am Ellenbogen und führte sie ins Wohnzimmer. Ich schloss die Tür, sodass die beiden uns nicht hören konnten, und erklärte ihr meinen Verdacht. Ich war so aufgeregt, dass ich mich verhaspelte und zweimal neu ansetzen musste.
«Verstehst du», sagte ich am Ende. «Franz Altmaier hatte diesen Text vom Tod 3 . 0 , den von der Deathbook-Seite. Verdammt, ich verstehe nicht, warum mir das nicht sofort eingefallen ist, als wir die Seite angeschaut haben!»
«Woher hatte er das Schriftstück?», fragte Manuela.
«Er hat behauptet, Kathi hätte es ihm gegeben, und weil ich den Text später auf ihrem Rechner gefunden habe, hatte ich auch keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Aber was, wenn er ihn ihr geschickt hat?»
«Dann hätte er ihn doch nicht dir gezeigt und sich damit als Täter ins Spiel gebracht.»
«Vielleicht hat er es aber auch gerade deshalb getan. Weil er das Spiel liebt und herausfinden wollte, ob ich ihm auf die Schliche komme.»
Ich sah, dass ich Manuela nachdenklich gemacht hatte. Sie konnte meine Gedanken nachvollziehen.
«Okay», sagte sie, «ich rufe sofort Kieling an, er
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