Deathbook (German Edition)
Musiol stand. Eine abhängige Frau, die ihr eigenständiges Denken aufgegeben hatte. Möglicherweise verhielt sie sich ja anders, wenn Gustav nicht dabei war.
Aber zuerst einmal ließ sie sich viel Zeit mit einer Antwort. Manuela lenkte den Wagen, so schnell es ging, durch die Straßen der Stadt. Auf dem Dach zuckte das Blaulicht. Sie kannte sich hier nicht aus und musste sich auf das Navi verlassen. Während sie auf die Antwort von Verena Thiel wartete, fragte Manuela sich, ob sich auch Navigationsgeräte von außen manipulieren ließen. Konnte jemand sehen, wann sie wohin fuhr, wenn sie so ein Ding benutzte?
«Ja, wahrscheinlich schon», sagte Verena Thiel nach einer Minute. «Ich meine, ich weiß nicht, aber Lutz verliert die Kontrolle, wenn er trinkt. Absichtlich hat er sie aber bestimmt nicht die Kellertreppe hinuntergestoßen, aber vielleicht haben sie sich gestritten. Wenn Lutz wirklich dort war und sie sich gestritten haben, dann kann es schon so gewesen sein.»
«Ist er abhängig?»
Verena Thiel nickte.
Manuela suchte nach Worten, um das Gespräch in Richtung des Deathbook-Killers zu bringen. Sie erhoffte sich von Frau Thiel Informationen darüber, ob Lutz Kaiser der Täter sein könnte, gleichzeitig durfte sie der Frau aber auch nicht allzu viel erzählen.
«Was macht Lutz Kaiser beruflich?», fragte sie schließlich.
«Der ist seit ein paar Jahren arbeitslos, wegen der Trinkerei.»
«Und davor?»
Verena Thiel zuckte mit den Schultern. «So genau weiß ich das gar nicht. Er war mal bei so einer Telefonfirma. Hat Computerzeugs gemacht.»
Plötzlich war Manuela elektrisiert.
Bis eben war sie davon ausgegangen, dass Lutz Kaiser eine falsche Fährte war. Natürlich verlangten es die Umstände, ihn zu überprüfen, aber sie glaubte nicht an ihn als Deathbook-Killer. Ein cholerischer Trinker passte nicht ins Bild. Diese eine Information veränderte aber alles. Lutz Kaiser hatte angeblich in der Telekommunikationsbranche gearbeitet. Wenn das stimmte, dann kannte er sich aus mit der vernetzten Welt. Dann war er vielleicht genau der Internet- und Computerprofi, den sie suchten.
Sie beschleunigte, jagte den Wagen durch die nachtleeren Straßen. Nach weiteren fünf Minuten Fahrt erreichte sie die Adresse in der Salzstraße. Vor einem vierstöckigen Mietshaus mit gelber Fassade standen drei Streifenwagen. Die Einsatzlichter warfen ihr kaltes blaues Licht in stroboskopischen Intervallen an die Hausfronten. Beamte in Uniform riegelten den Bereich vor dem Haus ab. Hinter dem hastig aufgespannten Flatterband hatten sich bereits einige Menschen versammelt. Einige trugen Schlafkleidung.
Manuela bremste scharf ab.
«Kommen Sie», sagte sie und sprang aus dem Wagen.
«Sind Sie Kommissarin Sperling?», fragte ein Beamter, der auf sie zugeeilt kam.
Manuela fand, es war nicht der richtige Zeitpunkt, die Sache mit ihrem Dienstgrad richtigzustellen, deshalb nickte sie.
«Ja, bin ich. Das hier ist Frau Thiel, eine Verwandte von Lutz Kaiser. Es besteht die Möglichkeit, dass er auf sie hört. Ist es denn sicher, dass Ann-Christin Kaiser in der Wohnung ist?»
Der Beamte schüttelte den Kopf. «Wir wissen es nicht. Der Kollege, der zuerst hier war, ist immer noch oben im Flur und versucht, mit dem Mann zu reden. Der brüllt aber immer nur, dass er sich und seine Tochter umbringen würde.»
«Ist ein MEK vor Ort?», fragte Manuela.
«Ja, die Männer stehen bereit. Sie warten nur auf den Einsatzbefehl. Leiten Sie diesen Einsatz?»
Hier zögerte Manuela kurz. Innerhalb einer Sekunde entschied sie sich, sich nicht von bürokratischen Vorschriften hemmen zu lassen.
«Nein, Hauptkommissar Kieling leitet den Einsatz. Er ist aber nicht vor Ort und hat mich autorisiert.»
Damit war der Beamte zufrieden. «Okay, sollen die Jungs dann stürmen?»
«Nein, noch nicht. Ich gehe mit Frau Thiel hinauf und versuche, ihn zum Aufgeben zu überreden. Aber die Männer sollen sich bereithalten, falls das nicht klappt.»
Manuela legte Verena Thiel eine Hand auf die Schulter und führte sie zwischen den Streifenwagen hindurch auf die Haustür zu. Hinter einem VW -Bus verschanzt, warteten sechs Männer in martialischer Schutzkleidung mit Waffen in den Händen auf ihren Einsatz. Sie waren vermummt, nur die Augen waren zu sehen. Manuela spürte, wie Verena Thiel bei dem Anblick zurückzuckte. Sie schob sie weiter vorwärts, durch die Tür ins Treppenhaus. Dort standen zwei weitere Beamte. Sie begrüßten Manuela mit einem
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