Deathbook (German Edition)
Rechner. Ich hatte auf eine neue Nachricht gehofft, doch es gab keine. Eine Weile trieb ich mich bei Facebook herum, las sinnlose Statusmeldungen, sah mir langweilige Fotos an und dachte nach.
In Kathis Leben hatte sich sehr viel online abgespielt. Für die heute 16 -Jährigen war es völlig normal, sich dort auszutauschen und zu präsentieren, ebenso wie in den anderen populären Netzwerken. Was sich für mich immer noch ein wenig fremd anfühlte, gehörte für diese Generation zum Alltag. Was ich nicht wirklich durchschaute, verstanden sie intuitiv. Aber verstanden sie diese Welt wirklich? Wussten sie auch, welche Gefahren darin lauerten? Begriffen sie, dass jeder alles in Erfahrung bringen und gegen jeden verwenden konnte?
Automatisch fiel mir Kathis Text ein. Ich zog den Ausdruck zu mir heran und las ihn noch einmal durch.
Wo bist du heute um acht? Ich weiß es, bevor du selbst dort bist. Wo wirst du in einer Woche sein, wer ist bei dir, zu welcher Minute bist du an welchem Ort allein, schutzlos, ausgeliefert? Ich weiß es, bevor du die Gefahr auch nur spürst.
Das war so wahr wie das Amen in der Kirche. Aber mir schien, dass es niemand wahrhaben wollte. Oder war es den Kids wirklich egal, was mit ihren Daten geschah? Wollten sie am Ende vielleicht sogar, dass jeder alles wusste?
Was geschah eigentlich mit den Daten derer, die nichts mehr wollen konnten? Was geschah mit den Accounts all der Toten dieser Welt?
Nach fünf Minuten war ich schlauer.
Facebook versetzt alle Konten von Verstorbenen in den Gedenkzustand. Nachgewiesene, unmittelbare Familienangehörige konnten aber die Löschung beantragen. Nur, wer dachte nach einem Todesfall daran?
Bei Yahoo wurden alle Daten mit dem Tod des Nutzers gelöscht. Aber wer informierte Yahoo darüber? Ähnlich LinkedIn. Dort wurden die Accounts Verstorbener nach einer Bestätigung getilgt. Aber eben nur nach einer Bestätigung. Bei Wer-Kennt-Wen mussten sich die Angehörigen schriftlich melden und einen Sterbenachweis erbringen. Das Profil konnte dann aber trotzdem zum Gedenken an den Verstorbenen aufrechterhalten bleiben. Youtube und Google Plus gewährten nach einer Prüfung sogar Zugriff auf die Accounts und Daten Verstorbener. Was war das für eine Prüfung?
Für mich klang das so, als blieben die allermeisten Daten Verstorbener für alle Zeiten im Web. Neben den vielen Netzwerken der Lebenden musste mittlerweile ein Netzwerk der Toten existieren.
Ich recherchierte mit diesen Schlagworten noch ein bisschen weiter und stieß auf eine verblüffende Meldung: In Dänemark konnten die Angehörigen von Verstorbenen QR -Codes auf die Grabsteine ihrer Lieben kleben lassen. Mit dem Smartphone gescannt, erschienen dann Geschichten zur Person, Kinderbilder oder gar Videos. Sogar eine Weiterleitung zum Facebook-Profil war denkbar, allerdings war das datenschutzrechtlich noch nicht geklärt.
Die Meldung an sich war schon der Brüller.
Aber was mich viel mehr alarmierte, war der Hinweis auf QR -Codes.
Laut Theresa hatte Kathi viel von QR -Codes gesprochen. An der Bahnstrecke hatte ich einen merkwürdigen Papierfetzen entdeckt, der – ja, das musste es sein – wie ein QR -Code ausgesehen hatte, das fiel mir in diesem Moment wieder ein.
Das Kürzel QR steht für Quick Response, also schnelle Antwort.
Ich ahnte, dass ich die nicht bekommen würde.
Die vielen verschiedenen Informationen verwirrten mich immer mehr. Ich verstrickte mich im Thema «digitaler Tod» und fand es auch noch interessant. War es Kathi genauso ergangen? Hatte sie sich für dieses Thema zu intensiv begeistert?
In dieser Frage schwang der vage Verdacht mit, sie könne sich wirklich selbst getötet haben. Nach wie vor wollte ich davon aber nichts wissen. Wenn Kathi wirklich so tief in das Thema eingetaucht war, hielt ich es eher für plausibel, dass sie online auf jemanden gestoßen war, der ihr Interesse ausgenutzt hatte.
Mein Handy klingelte.
Manuela Sperlings Bild erschien auf dem Display.
Ich konnte das Gespräch gar nicht schnell genug entgegennehmen. Hatte sie doch eine Halterabfrage gestartet?
«Manuela! Schön, dass du anrufst.»
«Wie geht es dir?», fragte sie.
«Es geht so. Ist eine verdammt schwierige Zeit.»
«Das tut mir wirklich leid. Ich kannte deine Nichte zwar nicht, aber sie muss ein tolles Mädchen gewesen sein.»
«Das war sie zweifellos.»
«Nach deinem Anruf ist mir diese Sache nicht mehr aus dem Kopf gegangen …», sagte Manuela, und ich war mir sicher, sie würde
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