Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
Leiche eines anderen Kindes vorzufinden, das er vor ihr entführt hatte, ein totes Mädchen, das sie aus leblosen Augen anstarrte.
Bei dem Gedanken wurde ihr übel, aber die Faszination, die von dem Sack und seinem Inhalt ausging, blieb. Das Blut war inzwischen auf dem schmutzigen Boden geronnen. Behutsam bewegte sie ihre gefesselten Hände auf den Sack zu und berührte ihn. Die Folie gab unter ihren Fingern nach, offenbar war etwas Weiches darin.
Ihre Phantasie ging mit ihr durch.
Sie musste sich zusammenreißen.
Vergiss den blöden Sack, ermahnte sie sich stumm. Überleg dir lieber, wie du hier rauskommst!
Dani atmete tief durch und wandte den Blick wieder nach vorn. Sie musste etwas unternehmen – aber was?
Während sie durch die Windschutzscheibe nach ihrem Entführer Ausschau hielt, versuchte sie, das Handschuhfach zu öffnen. Vielleicht würde sie darin Papiere finden – den Fahrzeugschein zum Beispiel oder eine Versicherungskarte oder irgendeinen Hinweis darauf, wer der Kerl war und was er wollte. Womöglich auch etwas, das sie als Waffe benutzen konnte, ein Taschenmesser oder einen Schraubenzieher … Aber das Handschuhfach war abgeschlossen.
Die Zeit arbeitete gegen sie. Dani brach der Schweiß aus – sie durfte sich die Chance zur Flucht nicht entgehen lassen! Verzweifelt suchte sie im dunklen Wageninneren nach irgendeinem Werkzeug, das sie am Körper verstecken konnte, um sich dem Kerl gegenüber einen Vorteil zu verschaffen. Nichts! Nicht einmal ein verdammter Kugelschreiber, den sie ihm in die Augen oder den Hals oder wohin auch immer hätte rammen können.
Verdammt!
In diesem Moment sah sie ihren Entführer in der Garage verschwinden.
Los, Dani!
Sie nestelte am Saum ihres Shirts und steckte die Finger in den BH. Vorsichtig, die Windschutzscheibe immer im Blick, schob sie das Handy, das an der Unterseite ihrer linken Brust lag, höher in den BH hinauf. Doch das Gerät war nass von Schweiß, rutschte ihr aus den Händen und drohte zu Boden zu fallen. Nein! Keuchend hielt sie es in ihren verschwitzten Fingern. Ihr Herz hämmerte wild.
Gott sei Dank. Sie hielt das Handy mit einer Hand und klappte es mit der anderen auf. Das Display leuchtete, die Musik setzte ein, ehe sie das Gerät stumm schalten konnte. Langsam, schrecklich langsam ging das Handy in Betriebsbereitschaft.
Nervös hielt sie durch die Windschutzscheibe nach ihrem Peiniger Ausschau. Sie konnte nur hoffen, dass er noch ein paar Minuten lang in der Garage blieb.
Die Leuchtanzeige auf dem Display zeigte, dass der Akku noch nicht ganz leer war. Noch nicht.
Dani rechnete mit tausend eingegangenen Nachrichten von ihrem Dad, aber nichts tat sich. Mit wachsender Verzweiflung bemerkte sie, dass kein einziger Empfangsbalken angezeigt wurde – offenbar gab es keinen Sender in der Nähe. Ihr Handy war hier nutzlos!
O nein!
Das durfte doch nicht wahr sein!
Zutiefst niedergeschlagen und den Tränen nahe, klappte sie das Handy zu und verstaute es mit einiger Mühe wieder in ihrem BH, wo es schmerzhaft gegen ihre Brust drückte.
Sie zwang sich, die Hoffnung nicht aufzugeben. Vielleicht bot sich später noch die Gelegenheit zu einem Anruf.
Es fiel ihr immer schwerer, still zu sitzen und zu warten. Noch einmal ließ sie den Blick durch die Fahrerkabine schweifen, über das Armaturenbrett, den Flaschenhalter und den Fahrersitz, bis ihr schließlich der überquellende Aschenbecher ins Auge fiel. Er war so voll mit zerdrückten Zigarettenstummeln, dass er sich nicht mehr schließen ließ.
Und an jeder Kippe befand sich die DNA des Dreckskerls.
Gut.
Ohne lange zu überlegen, rückte Dani hinüber und versuchte einen Stummel zu greifen. Im Augenblick nutzte ihr das zwar nichts, aber zumindest konnte sie später die Marlboro-Light-Kippe der Polizei übergeben. Die Ermittler würden sie im Labor untersuchen, das Ergebnis mit ihren gespeicherten Daten abgleichen und dadurch den Perversen fassen, so, wie man es immer im Krimi sah. Und wenn sie womöglich nicht imstande war zu reden … wenn sie schwer verletzt gefunden werden sollte oder gar … Sie schluckte mühsam und dachte an den Müllsack im Laderaum mit dem ekligen Blutrinnsal. O Gott …
Behutsam rückte sie noch ein wenig näher an den Fahrersitz heran.
Die Fesseln schränkten ihre Bewegungsfreiheit ein. Die Zeit lief ihr davon. Aber sie musste vorsichtig sein, damit keine Kippen aus dem Aschenbecher fielen und sie verrieten.
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
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