Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
zu deiner Entlassung warten.«
»Betrachte mich ab sofort als entlassen. Meine Tochter wird also tatsächlich vermisst?«
Shea nickte düster. »Ja, schon seit einer ganzen Weile. Settler ist hergekommen, weil er denkt, du könntest etwas mit der Entführung zu tun haben.«
»Das ist mir ein feiner Kerl. Sein Kind kommt ihm abhanden, und sein erster Gedanke ist, ich hätte was damit zu tun? Ich? Die darauf vertraut hat, dass die Adoptiveltern für das Mädchen sorgen, es lieben und beschützen würden? Die das Kind seit dreizehn verdammten Jahren nicht gesehen hat?« Shannons Stimme begann zu zittern. Sie räusperte sich – gerade jetzt durfte sie sich nicht von Gefühlen überwältigen lassen, sondern musste sich beherrschen und einen klaren Kopf bewahren. »Was ist mit seiner Frau?«, fragte sie. »Damals bei der Adoption haben sie mir gesagt, mein kleines Mädchen käme zu einem Ehepaar, das sich sehnlichst Kinder wünscht und selbst keine bekommen kann.«
»Die Frau ist tot.«
Shannon stockte der Atem. »Oh.« Ihr Zorn fiel ein wenig in sich zusammen. Einen Moment lang empfand sie Mitleid mit dem alleinerziehenden Vater, der nicht nur mit seiner eigenen Trauer, sondern zudem mit dem Schmerz seines Kindes fertig werden musste. Wie sehr mochte er gelitten haben … »Was ist passiert?«
»Mit der Frau? Ich weiß es nicht genau, sie ist wohl an einer Krankheit gestorben. Schon vor ein paar Jahren. Seitdem lebt Settler mit der Tochter allein.«
»Und jetzt ist sie verschwunden!« Ihre Wut flammte erneut auf. Was war das für ein Vater, der nicht auf seine Tochter aufpassen konnte? Ihr Kind? Vom Verstand her war ihr klar, dass so etwas täglich geschah, Kinder wurden entführt oder liefen von zu Hause davon – aber doch nicht ihre Tochter, das heißgeliebte Baby, das sie so widerstrebend hergegeben hatte. Sie hatte sich lange dagegen gesträubt, aber am Ende hatte sie sich doch einreden lassen, es sei das Beste für ihre Tochter, bei einem liebevollen Ehepaar aufzuwachsen, das alle ihre Bedürfnisse erfüllen konnte … Und nun hatte es ein böses Ende genommen. Shannons Augen brannten. Sie rang um Fassung. »Das darf alles nicht wahr sein«, flüsterte sie und schluckte krampfhaft.
Entschlossen ging sie von ihrem Bett zum Schrank hinüber. Bei jeder Bewegung hämmerte ihr Kopf, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Körper, doch sie verzog keine Miene. Im Schrank hing ein zerschlissener gelber Frotteebademantel, den einer ihrer Brüder ihr von zu Hause gebracht hatte. Der Bademantel hatte schon bessere Tage gesehen, und auf einem Aufschlag befand sich ein Kaffeefleck, der sich nie ganz hatte auswaschen lassen. Außerdem standen im Schrank ein Paar abgetragene marineblaue Slipper mit Keilabsatz. Ihre blutverschmierten Stiefel waren entsorgt worden.
»Perfekt«, kommentierte sie trocken und schlüpfte in die Hausschuhe.
»Es hat wohl keinen Sinn, dir das ausreden zu wollen?«
»Nein.«
»Offenbar hast du vergessen, dass du immer unsere Kleine warst, Shan.« Shea war mit seinem Latein am Ende. Er wollte die Zigarettenschachtel aus der Tasche ziehen, doch dann fiel ihm wieder ein, wo er sich befand. Er ließ die Hand sinken.
»Nun, jetzt bin ich aber eine erwachsene Frau, und es ist an der Zeit, dass ich meine Angelegenheiten selbst in die Hand nehme.«
»Aber ich soll trotzdem meine Beziehungen spielen lassen, um dich hier rauszupauken.«
Sie lächelte wider Willen. »Für irgendwas muss ein großer Bruder ja gut sein.« Damit band sie den Gürtel des Bademantels über dem albernen Krankenhaus-Nachthemd zu. Ihr blieb nichts anderes übrig, als das Krankenhaus in diesem Aufzug zu verlassen. »Also tu, was zu tun ist, und dann lass uns fahren.«
»Du meinst, ich soll dich nach Hause bringen?«
»Später. Zuerst muss ich noch woanders einen Besuch machen.«
»Einen Besuch?«
»Du weißt doch, wo Travis Settler sich aufhält, nicht wahr?«
Shea presste die Lippen zusammen. »Ich kann dich nicht zu ihm bringen.«
»Natürlich kannst du.«
»Shannon, ich rate dir dringend davon ab, mit diesem Mann Kontakt aufzunehmen. Er steht nach wie vor unter Verdacht.«
»Das ist mir gleich.«
»Du könntest die Ermittlungen beeinträchtigen«, wandte Shea ein und tastete unwillkürlich erneut nach seinen Zigaretten. »Ich kann nicht zulassen, dass du mit ihm sprichst.«
»Und warum nicht? Ich will nur, dass er mir ein paar einfache Fragen beantwortet. Zum Beispiel, wo zum Teufel meine Tochter steckt.
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