Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
verdanken?« fragte er, die duftige Frische des Weins genießend.
»Er hatte einen guten Geschmack und ein erstaunliches Talent, günstig einzukaufen«, gab Julia zu. »Eine Folge seiner Erziehung, vermute ich.«
Kincaid fragte sich, ob Connor Swanns Zuneigung zu Sharon Doyle ebenfalls eine Folge dieser Erziehung war - der verwöhnte Sohn einer Mutter, die ihn vergöttert hatte, hatte vielleicht gefunden, daß er ein Recht auf bedingungslose Hingabe hatte.
Als wäre sie seinem Gedankengang gefolgt, sagte Julia: »Wie heißt diese Frau eigentlich - Cons Geliebte?«
»Sharon. Sharon Doyle.«
Julia nickte, als paßte das zu einem Bild, das ihr vorschwebte. »Blond, etwas rundlich, jung, nicht übermäßig kultiviert?«
»Kennen Sie sie?« fragte Kincaid überrascht.
»Das ist gar nicht nötig.« Julias Lächeln war wehmütig. »Ich habe mir nur mein Gegenteil vorgestellt«, erklärte sie. »Schauen Sie mich doch an.«
Es fiel Kincaid nicht schwer, ihrer Aufforderung zu folgen. Das Gesicht unter dem dunklen Haar zeigte Humor und Intelligenz in gleichem Maße. Er sagte in scherzendem Ton: »Ich kann Ihrer Theorie nur begrenzt folgen. Oder wollen Sie sagen, daß ich Sie als alt und blasiert betrachten soll?«
»Na ja, nicht ganz.« Sie lächelte sehr offen, und wieder dachte Kincaid, wie seltsam es schien, Sir Geralds Lächeln so unmittelbar auf ihr schmales Gesicht übertragen zu sehen. »Aber Sie verstehen, was ich meine?«
»Und weshalb sollte Connor sich jemanden gesucht haben, der das genaue Gegenteil von Ihnen ist?«
Sie zögerte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf, vor der Antwort zurückschreckend. »Diese Frau - Sharon - wie kommt sie damit zurecht?«
»Schlecht, würde ich sagen.«
»Glauben Sie, es wäre ihr eine Hilfe, wenn ich mal mit ihr spreche?« Sie drückte ihre Zigarette aus und fügte in leichterem Ton hinzu: »Ich habe leider keine Übung darin, wie man sich in solchen Situationen zu verhalten hat.«
Kincaid ahnte, wie angreifbar und verletzlich sich Sharon in Julias Anwesenheit fühlen würde, andererseits hatte sie niemanden, mit dem sie ihren Kummer teilen konnte. »Ich weiß es nicht, Julia. Ich glaube, sie würde gern zu Connors Beerdigung kommen. Ich werde ihr sagen, daß Sie nichts dagegen haben, wenn Ihnen das recht ist. Aber ich würde an Ihrer Stelle nicht zuviel erwarten.«
»Con hat ihr bestimmt Horrorgeschichten über mich erzählt«, sagte Julia nickend. »Das ist nur natürlich.«
Kincaid sah sie neugierig an und sagte: »Sie sind heute abend wirklich in sehr großmütiger Stimmung. Liegt da vielleicht etwas in der Luft? Ich habe mich eben mit Trevor Simons unterhalten, und er war ganz ähnlich gestimmt.« Er machte eine Pause, um noch etwas von seinem Wein zu trinken, und als Julia nicht antwortete, fuhr er fort: »Er sagte, er ist bereit, unter Eid auszusagen, daß Sie die ganze Nacht zusammen verbracht haben, ganz gleich, wie sich das auf seine Ehe auswirken sollte.«
Sie seufzte. »Trev ist ein feiner Kerl. Aber dazu wird es doch hoffentlich nicht kommen?« Sie schlang die Arme um ihre hochgezogenen Beine und legte ihr Kinn auf ihre Knie. »Sie können doch nicht im Ernst glauben, daß ich Con getötet habe?« Als Kincaid nichts sagte, hob sie den Kopf. »Das glauben Sie doch nicht, oder, Duncan?«
Kincaid ließ sich die Fakten noch einmal durch den Kopf gehen. Connor war zu einem Zeitpunkt gestorben, der zwischen dem Ende der Vernissage und den frühen Morgenstunden lag, genau in der Zeit also, für die Trevor Simons Julia ein Alibi gegeben hatte. Simons war ein feiner Kerl, wie Julia so passend gesagt hatte, und es hatte Kincaid keine Freude gemacht, ihn hart anzufassen, doch er war jetzt sicherer denn je, daß Simons es nicht riskiert hätte, für Julia zu lügen.
Doch noch während er sich diese Tatsache vor Augen hielt, war ihm klar, daß sie mit dem, was er fühlte, kaum etwas zu tun hatte. Er musterte ihr Gesicht. Konnte man Schuld sehen, wenn man über das richtige Auge, die richtigen Informationen verfügte? Er hatte sie oft genug gespürt, und sein Verstand sagte ihm, daß die Bewertung auf einer Kombination unbewußt gegebener Signale beruhen mußte - auf Körpersprache, Geruch, Schwingungen in der Stimme. Er wußte aber auch, daß es ein Element gab, das über das Rationale hinausging - man konnte es ein Gefühl oder eine Ahnung nennen, es spielte keine Rolle. Es
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