Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
zu schützen, daß er dafür gemordet hatte? Selbst wenn sie bereit war, das zuzugestehen, blieb der Rest in ihren Augen unsinnig. »Weshalb hätte Connor sich mit ihm an der Schleuse treffen sollen?«
»Weil Godwin ihm versprach, das Geld dorthin zu bringen.«
Gemma starrte in den feinen Nieselregen hinaus. »Ich glaube nicht, daß Connor Swann Geld wollte«, sagte sie mit ruhiger Gewißheit. »Außerdem ist damit nicht erklärt, weshalb Tommy nach London gefahren ist und Sir Gerald aufgesucht hat. Er kann es nicht getan haben, um sich ein Alibi zu beschaffen. Jedenfalls nicht, wenn Connor Swann zu dem Zeitpunkt noch am Leben war.«
»Ich habe den Eindruck, Sie lassen sich in Ihrem Urteil von Ihrer Sympathie für Tommy Godwin beeinflussen, Gemma. Niemand sonst hat auch nur die Spur eines Motivs. Sehen Sie denn nicht -«
Der Zorn, der sich den ganzen Morgen in ihr aufgestaut hatte, brach sich plötzlich Bahn. »Sie sind derjenige, der blind ist«, schrie sie ihn an. »Sie sind so vernarrt in Julia Swann, daß Sie die Möglichkeit ihrer Schuld an Connors Tod nicht einmal in Betracht ziehen, obwohl Sie so gut wie ich wissen, daß bei einem Ehegattenmord meistens der Partner der Täter ist. Woher sind Sie so sicher, daß Trevor Simons nicht lügt, um sie zu decken? Woher wissen Sie, daß sie sich nicht vor Connors Abendessen mit Tommy Godwin und vor Beginn der Vernissage mit ihrem Mann getroffen und sich für später mit ihm verabredet hat? Vielleicht hatte sie Angst, ein Skandal um ihre Familie würde ihrer Karriere schaden. Vielleicht wollte sie ihre Eltern schützen. Vielleicht ...« Sie schwieg, aller Zorn war verraucht. Sie konnte nur noch auf den unvermeidlichen Gegenschlag warten. Niedergeschmettert. Diesmal hatte sie die Grenze wirklich weit überschritten.
Doch anstatt sie abzukanzeln, wie sie erwartet hatte, senkte Kincaid den Blick. In der Stille konnte sie das Zischen der Reifen auf dem nassen Asphalt hören.
»Vielleicht haben Sie recht«, sagte er schließlich. »Vielleicht ist meinem Urteil nicht zu trauen. Aber solange wir keine konkreten Indizien haben, kann ich mich nur darauf verlassen.«
Sie fuhren in zwei Autos nach London zurück und trafen sich wie vereinbart vor Kincaids Wohnung. Der Nieselregen war ihnen gefolgt, und Kincaid zog die Plane über den Midget, ehe er ihn abschloß. Als er zu Gemma in den Wagen stieg, sagte er: »Sie müssen sich wirklich mal um Ihre Reifen kümmern, Gemma. Der hintere ist so kahl wie eine Glatze.« Es war eine häufig wiederholte Mahnung, auf die Gemma meist gereizt reagierte. Als sie diesmal nicht nach dem Köder schnappte, seufzte er und fuhr fort: »Ich habe vom Auto aus im LB-Haus angerufen. Tommy Godwin ist heute gar nicht erschienen. Er sagte, es ginge ihm nicht gut. Haben Sie mir nicht erzählt, daß seine Wohnung in Highgate ist?«
Gemma nickte. »Ich habe mir die Adresse aufgeschrieben. Es ist, glaube ich, hier ganz in der Nähe.«
Eine diffuse Angst breitete sich in ihr aus, während sie fuhr, und sie war erleichtert, als sie das Haus entdeckte, in dem Tommy Godwin seine Wohnung hatte. Sie ließ den Wagen auf dem Vorplatz stehen und sprang heraus. Ungeduldig wartete sie vor der Haustür auf Kincaid, der sich Zeit ließ.
»Du meine Güte, Gemma, brennt’s hier irgendwo?« fragte er scherzhaft, doch sie ignorierte die Bemerkung und stieß die Haustür auf. Als sie dem Portier ihre Ausweise zeigten, wies der ihnen unwirsch den Weg zum Aufzug. »Vierte Etage.«
»Schönes Haus«, meinte Kincaid, als sie in dem ächzend aufwärts fahrenden Lift standen. »Gut erhalten, aber nicht zu Tode modernisiert.« Der Treppenflur in der vierten Etage, in einem geometrischen Muster schwarzweiß gefliest, bestätigte seine Worte. »Deco, wenn ich mich nicht irre.«
Gemma, die nach der richtigen Wohnungsnummer suchte, hatte nur mit halbem Ohr hingehört. »Was?« fragte sie und klopfte schon in 4 C.
»Art deco. Das Haus muß ungefähr -«
Die Tür öffnete sich. Tommy Godwin sah Kincaid und Gemma neugierig an. »Mike hat mich schon angerufen und mir gesagt, daß die Freunde von der Polizei auf dem Weg sind. Er war ausgesprochen mißvergnügt. Ich vermute, er hat in einem früheren Leben einmal unangenehme Erfahrungen mit der Polizei gemacht.« Godwin trug einen seidenen Morgenrock mit Paisley-Muster und Hausschuhe. Sein sonst so gepflegtes Haar stand ihm zerzaust vom Kopf ab. »Sie sind sicher
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