Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
ich die Zurechtweisung verdient. Das sind eben die alten Gewohnheiten, weißt du. Es tut mir leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin, aber ich mag dich sehr gern und möchte dir helfen, wenn ich kann.«
Hazels liebevoller Ton trieb Gemma die Tränen in die Augen, und sie hatte plötzlich eine große Sehnsucht, ihr Herz auszuschütten und sich trösten zu lassen. Aber statt dessen schluckte sie die Tränen hinunter und fragte zaghaft: »Wie hast du das nur ausgehalten, Hazel? So einfach deinen Beruf aufzugeben? Hast du nicht Angst gehabt, du würdest dich selbst verlieren?«
Hazel beobachtete eine ganze Weile schweigend die Kinder beim Spiel, ehe sie antwortete. »Es war nicht leicht, aber ich habe es bis jetzt nie bereut. Ich habe aus Erfahrung gelernt, daß es ein großes inneres Risiko ist, die eigene Identität ausschließlich in der Arbeit zu verankern. Dazu ist das Leben viel zu unsicher - ein Arbeitsplatz kann morgen schon verloren sein, und wo steht man dann? Das gleiche gilt für die Ehe und die Mutterschaft. Man muß sich auf etwas Tieferes verlassen, etwas Unverletzliches.« Sie blickte auf und sah Gemma in die Augen. »Leichter gesagt, als getan, ich weiß, und ich will auch der persönlichen Frage gar nicht ausweichen. Ich habe mit dem Kinderkriegen ziemlich lange gewartet, und als Holly dann kam, habe ich mich trotz meiner Liebe zu meiner Arbeit dafür entschieden, die ersten Jahre ihres Lebens einzig für sie da zu sein, weil ich weiß, daß das eine Erfahrung ist, die mir nie wieder im Leben geboten werden wird. Manchmal habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, daß so viele Frauen - wie du zum Beispiel - diese Möglichkeit der Wahl gar nicht haben.« Hazels Grübchen kamen zum Vorschein, als sie Gemma anlächelte. »Aber ich weiß gar nicht, ob du sie überhaupt ergreifen würdest, wenn du sie hättest.«
Mit gerunzelter Stirn starrte Gemma in ihren Becher, als könnte sie darin die Antwort finden. »Nie im Leben, hätte ich zu Anfang gesagt. Für mich war die Schwangerschaft ein Schlag ins Kontor, ein Kind nichts als ein Klotz am Bein, den ich Robs Nachlässigkeit zu verdanken hatte. Aber jetzt...«
Toby, der vielleicht einen Unterton innerer Unruhe in der Stimme seiner Mutter hörte, unterbrach sein Spiel und kam zu ihr. Er drückte seinen Kopf an ihren Arm.
Gemma zog ihn an sich und zauste ihm das Haar. »Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Es gibt Tage, da beneide ich dich.« Sie dachte an Jackie Temples unerwartetes Geständnis. War je ein Mensch mit seinem Los zufrieden?
»Und es gibt Tage, da hab ’ ich das Gefühl, ich werde verrückt, wenn ich noch einen einzigen Werbespot für Spielzeug höre«, entgegnete Hazel lachend. »Also koche ich. Das ist meine Zuflucht.« Sie stand auf und trug die leeren Becher zur Spüle. »Und jetzt ist es Zeit von den anregenden auf die beruhigenden Getränke umzusteigen.« Sie nahm eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. »Dieser Gewürztraminer schmeckt ganz köstlich zu den Gewürzen eines nordafrikanischen Essens.« Sie holte einen Korkenzieher aus der Schublade, doch ehe sie die Flasche öffnete, drehte sie sich noch einmal nach Gemma um. »Nur eines noch. Ich will dich nicht drängen, aber ich bin immer für dich da, wenn du jemanden zum Reden brauchst. Und ich werde auch die Therapeutin nicht mit der Freundin vermengen.«
Gemma schlief an diesem Abend mit Toby auf dem Schoß in dem Ledersessel in ihrer Wohnung ein. In den frühen Morgenstunden erwachte sie fröstelnd und verkrampft vom Gewicht ihres entspannt schlafenden Sohnes mit dem Bildnis von Claire Gilberts Gesicht vor Augen, das in ihr Bewußtsein eingebrannt zu sein schien wie der grelle Nachglanz einer Flamme.
* 7
Kincaid und Nick Deveney standen, nachdem sie geläutet hatten, geduldig wartend auf der Vortreppe des efeuberankten Hauses von Dr. Gabriella Wilson. Erleichtert hatten sie sich nach einem Morgen endloser Besprechungen aus der Dienststelle in Guildford davongemacht und es Will Darling überlassen, die weiterhin eingehenden Berichte zu sichten. Als Dr. Wilsons Name auf der Liste von Leuten aufgetaucht war, die Diebstähle gemeldet hatten, hatten sie beschlossen, als erstes die Ärztin aufzusuchen.
Auf der Fahrt ins Dorf hatte Deveney, genüßlich ein Käsebrötchen vertilgend, mit vollem Mund irgend etwas Unverständliches gemurmelt und dann, nachdem er hinuntergeschluckt hatte, deutlicher gesagt: »Da
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