Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
der zur Vertraulichkeit einlud.
Deveney, der zerstreut die Ansichtskarten durchsah, während er seinen Apfel aß, schien ihr Gespräch überhaupt nicht zu beachten.
Das Mädchen strich sich stirnrunzelnd das Haar aus dem Gesicht. »Nein, das würde ich nicht sagen. Lucy ist immer nett, sie hat nur mit uns nicht viel zu tun.«
»Das ist schade, wenn man bedenkt, was passiert ist«, meinte Kincaid. »Sie könnte gerade jetzt sicher eine Freundin gebrauchen.«
»Ja, das stimmt«, sagte das Mädchen und fügte mit einem Anflug von Neugier hinzu: »Sie sind wohl von der Polizei?«
»Richtig junge Dame.« Deveney war zu ihnen getreten und hielt den Strunk seines Apfels hoch. »Und Sie würden uns einen großen Gefallen tun, wenn Sie das in den Abfall werfen.« Er zwinkerte ihr zu, und sie errötete wieder, nahm aber bereitwillig den Apfelrest entgegen.
Dreister Bursche, dachte Kincaid. Er dankte dem Mädchen, und sie lächelte ihn erfreut an. Als sie an der Tür waren, drehte er sich um. »Darf ich fragen, wie Sie heißen?«
»Sarah«, sagte sie leise.
»Na, ein zweiter Einstein wird die bestimmt nicht«, bemerkte Deveney, als sie aus dem Laden traten.
»Meiner Ansicht nach ist sie nur schüchtern, nicht dumm.« Kincaid sprang über eine Pfütze hinweg. »Und ich finde, es ist gefährlich, die Leute zu unterschätzen, obwohl ich selbst es bestimmt schon mehr als einmal getan habe.« Er dachte wieder an Vic, wie oft sie wütend nach Hause gekommen war und gedroht hatte, sich das Haar dunkel färben zu lassen, um nicht jedem beweisen zu müssen, daß sie keine dumme Blondine war. Er war damals, sagte er sich, genauso unsensibel gewesen wie die taktlosen Leute, die er kritisiert hatte - er hatte sie zwar getröstet, aber er hatte sie erst ernst genommen, als es zu spät gewesen war.
»Sie haben recht«, sagte Deveney etwas beschämt. »Ich werde versuchen, in Zukunft mit meinem Urteil nicht so vorschnell zu sein.«
Um zur Wohnungstür zu gelangen, mußten sie erst eine Außentreppe hinaufsteigen. Es sah aus, dachte Kincaid, als sei sie erst später angebaut worden, vielleicht als man das Erdgeschoß des Hauses zum Laden umgebaut hatte. Geländer und Tür waren glänzend weiß lackiert. Als er auf den Klingelknopf drückte, sagte er: »Den Farben nach scheint sie eine gute Hexe zu sein.«
Die Tür öffnete sich bei seinen letzten Worten. Mit einem fragenden Blick auf die beiden Männer sagte Madeleine Wade: »Ja, bitte?« Kincaid, dem es plötzlich die Sprache verschlagen hatte, errötete so tief wie zuvor die kleine Sarah. Während Deveney sich und Kincaid leicht stotternd vorstellte, musterte Kincaid die Kleidung der Frau, eine Seidenbluse in Moosgrün und Rosé und eine passende grüne Seidenhose. Das platinblonde Haar, vermutlich aus der Tube, trug sie in modischem Pagenschnitt. Überallhin ließ er seinen Blick schweifen, doch ins Gesicht sah er ihr erst, als er seine eigenen Züge fest unter Kontrolle hatte; Madeleine Wade nämlich hatte eine unglaublich große schnabelähnliche Höckernase, die jeder Märchenhexe Ehre gemacht hätte.
Sie lächelte leicht belustigt, als wüßte sie genau, was ihnen zu schaffen machte. »Kommen Sie doch herein«, sagte sie und führte sie ins Wohnzimmer. Ihre Stimme war tief, mit einem beinahe männlichen Timbre, aber sehr angenehm. »Setzen Sie sich bitte, dann mache ich uns etwas zu trinken. Ich habe allerdings nichts Koffeinhaltiges im Haus, Sie werden also mit Kräutertee vorliebnehmen müssen«, sagte sie, schon auf dem Weg in die kleine Küche, die sich an das Wohnzimmer anschloß.
Kincaid konnte zwar ihr Gesicht nicht sehen, aber er glaubte, einen amüsierten Ton in ihrer Stimme zu hören.
»Wunderbar«, rief er im Chor mit Deveney, der dazu eine Grimasse des Schauderns schnitt.
»Erweitern Sie Ihren Horizont, Mann«, sagte Kincaid boshaft mit gesenkter Stimme. »Das kann Ihnen nur guttun.« Dann sah er sich mit Interesse in dem Zimmer um. Er wurde gewahr, daß irgendwo gedämpfte Musik spielte, konnte aber die Quelle nicht orten. Zumindest, dachte er, nannte man das wohl Musik, ein sanftes Perlen von Klängen, die sich in rhythmischen Mustern wiederholten.
Die Wohnung besaß einen behaglichen, leicht verschrobenen Charme. Nur die Massagebank am anderen Ende des Zimmers verriet, daß Madeleine Wade den Raum auch für ihre Arbeit nutzte. Ein bunt gemustertes Tuch lag über der Bank, wohl um den
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