Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
Bratenfett. Gemma saß Alison Douglas gegenüber, trank Tee, der so stark war, daß der Löffel darin steckenblieb, und versuchte vergeblich, es sich in dem vorgeformten Plastiksessel bequem zu machen. Um sie herum tranken Männer und Frauen in völlig normaler Kleidung Tee und aßen Sandwiches, doch die Gesprächsfetzen, die Gemma auffing, enthielten so viele technische Ausdrücke, daß man hätte meinen können, eine fremde Sprache zu hören. Sie zog ihren Block aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch.
»Miss Douglas«, sagte sie, als sie sah, daß Alison mit einer Fingerspitze auf ihre Armbanduhr klopfte. »Ich verstehe, daß Ihre Zeit knapp ist. Ich werde Sie nicht länger als unbedingt nötig aufhalten.«
»Ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen überhaupt helfen kann. Ich meine, ich weiß natürlich von der Geschichte mit Sir Geralds Schwiegersohn. Wirklich schlimm.« Ihre Miene trübte sich, und sie sah plötzlich sehr jung und unsicher aus wie ein Kind, das zum erstenmal mit einem tragischen Ereignis konfrontiert wird. »Aber ich verstehe nicht, was das mit mir zu tun hat.«
Gemma schlug ihren Block auf und legte ihren Kugelschreiber neben ihn. »Arbeiten Sie eng mit Sir Gerald zusammen?«
»Nicht enger als mit den anderen Dirigenten.« Alison hielt inne und lächelte. »Aber es macht mir mehr Spaß. Er ist ein ausgesprochen netter Mann. Die Ruhe selbst, im Gegensatz zu manchen anderen.«
Gemma, die nicht gern zugeben wollte, daß sie keine Ahnung hatte, wie das System funktionierte, improvisierte und fragte. »Dirigiert er häufig?«
»Mehr als alle anderen außer unserem Musikdirektor.« Alison beugte sich über den Tisch zu Gemma und senkte ihre Stimme. »Man hat ihm die Position einmal angeboten, aber er hat sie abgelehnt. Das war allerdings Vor Jahren, lange vor meiner Zeit. Er sagte damals, er wolle mehr Freiheit haben, mit anderen Orchestern zusammenzuarbeiten, aber ich glaube, es hatte mit seiner Familie zu tun. Er und Dame Caroline hatten damals im Sadler’s Wells zusammen bei der Truppe angefangen - es wäre nun naheliegend gewesen, ihn zum Direktor zu machen.«
»Singt Dame Caroline noch hier an der Oper? Ich meine, ist sie nicht - sie hat doch eine erwachsene Tochter ...«
Alison lachte. »Sie meinen, daß sie für ihren Beruf zu alt ist, stimmt’s?« Wieder beugte sie sich vor. Ihr lebhaftes Mienenspiel verriet, welche Freude es ihr machte, die Uneingeweihten zu belehren. »Die meisten Sopransängerinnen finden erst in ihren Dreißigern wirklich zu ihrer Form. Es braucht jahrelange Arbeit und Übung, um eine Stimme zu entwickeln, und wenn man zu früh zuviel singt, kann der Stimme nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt werden. Viele erreichen ihren Höhepunkt, wenn sie in den Fünfzigern sind, und einige Ausnahmesängerinnen können auch danach noch weitermachen. Ich muß allerdings zugeben, daß es manchmal etwas komisch wirkt, wenn sie dann noch die jugendliche Naive spielen.« Sie lachte und fuhr dann ernst fort: »Aber bei Caroline Stowe wäre das sicherlich nicht der Fall gewesen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie je lächerlich wirkt, ganz gleich, wie alt sie ist.«
»Sie sagten eben >es wäre nicht der Fall gewesen<. Ich verstehe nicht -«
»Sie hat sich ganz von der Bühne zurückgezogen. Vor zwanzig Jahren schon, als ihr Sohn umkam. Sie ist danach nie wieder öffentlich aufgetreten.« Alison hatte wieder die Stimme gesenkt, und obwohl sie ein angemessen betrübtes Gesicht machte, erzählte sie die Geschichte mit dem Genuß, in dem sich die Leute im allgemeinen über das Unglück anderer ergehen. »Und sie war wirklich genial. Sie hätte eine der berühmtesten Sopranistinnen unserer Zeit werden können.« Mit echtem Bedauern schüttelte Alison den Kopf.
Gemma trank einen letzten Schluck von ihrem bitteren Tee und schob die Tasse weg. »Wieso dann der Titel, wenn sie aufgehört hat zu singen?«
»Sie ist eine der besten Gesangslehrerinnen in England, wenn nicht der Welt. Viele Sängerinnen, von denen wirklich Großes zu erwarten ist, sind von ihr unterrichtet worden und werden immer noch von ihr unterrichtet. Außerdem hat sie unheimlich viel für unser Unternehmen getan.« Alison lächelte ein wenig ironisch und fügte hinzu: »Sie ist eine sehr einflußreiche Frau.«
»Offensichtlich«, meinte Gemma, die daran dachte, daß es Dame Caroline und Sir Gerald gewesen waren, die erreicht hatten, daß Scotland
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